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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen
Autoren: Miklós Bánffy
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konnte nicht einmal der geldgierigste Hauptwahlwerber etwas ins Werk setzen, denn sollte das Schilf irgendeinem Unternehmer verkauft werden, dann dürften die »Bürger« womöglich betteln gehen.
    Über das alles verlor der Obergespan dem jungen Mann gegenüber freilich kein Wort. Er sprach mit ihm über allgemeine Dinge, machte schöne Sprüche über die Pflicht, den Patriotismus und eine hohe Berufung. Vor der verwitweten Frau Abády ließ er gespielt gutmütig und mit berechnender Schlauheit aufblitzen, um wie viel besser es sei, wenn ihr Sohn zu Hause, im Land und bei ihr bleibe, dass es auch einen Abgeordnetenlohn gebe, zwar nicht viel, aber immerhin etwas, und dass die Wahl gewiss einstimmig erfolgen werde und nichts koste. Erst nachdem die Überredung Erfolg gezeitigt hatte, machte er einen Abstecher zu Kristóf Ázbej, dem Gutsverwalter der Gräfin. In dessen Haus sagte er auch nur so viel, dass es sich empfehlen werde, jemanden nach Lélbánya zu schicken, durch ihn ziemlich öffentlich die in diesem Herbst erwartete Schilfernte schätzen zu lassen und die Nachricht in Umlauf zu setzen, man plane irgendeine Änderung in der bisherigen Verkaufsordnung. Sollen doch die widerborstigen Kleinstädter Angst bekommen.
    So geschah es denn auch, und Bálint Abády hatte damals keine Ahnung, warum seine Wähler ihn mit so großem Jubel hochleben ließen.
    Er ahnte allgemein wenig von den unreinen Beziehungen des Lebens. Vielleicht lag das an seiner Natur, vielleicht hatte auch seine Erziehung dazu beigetragen. Acht lange Jahre seiner Kindheit verbrachte er in der geschlossenen und vornehmen Anstalt des Theresianums und die Ferienzeit jeweils auf dem Lande, im Schloss von Dénestornya. Die paar Universitätsjahre, der Diplomatenkurs und die wechselnden Stationen des Auslandsdienstes führten später auch nichts anderes vor als die Oberfläche des Lebens. Irgendwie hatte er bisher in Treibhausluft gelebt, in einer leicht künstlichen, etwas isolierten Atmosphäre, wo die menschliche Gemeinheit, die Selbstsucht und die Habgier Masken trugen und es schärferer, geübterer Augen bedurfte, um sie zu erkennen.
    Zurückgelehnt im alten Landauer des Droschkenkutschers dachte Bálint jetzt einzig daran, dass er wieder zu Hause war, dass er endgültig zu Hause bleiben werde, und er begann unsicher Pläne zu entwerfen, wie er hierzulande seine im Ausland gesammelten Kenntnisse nützlich anwenden könnte. In Deutschland war er Formen des Genossenschaftswesens begegnet sowie Institutionen des Heimstättengesetzes, dem Fideikommiss-Schutz des bäuerlichen Guts. Darüber hatte er vor seinen Wählern bereits gesprochen. Diesen Gedanken hing er jetzt nach, tat dies aber nicht gerade entschlossen – die Landschaft war hierfür doch allzu lieblich, das sonnige Wetter viel zu schön und auch das Himmelsgewölbe zu blau.
    Er wurde von einer geschlossenen Kutsche, die ihn allmählich eingeholt hatte, in seinen Gedanken gestört. Es war ein altmodischer Reisewagen, dessen hochgezogene Glasfenster ununterbrochen rhythmisch klirrten. Zwei alte, grobknochige Braune hatte man eingespannt, Pferde mit großen Bäuchen, vielleicht waren beide trächtig, oder sie mochten außer Stroh nichts vorgesetzt bekommen. Ein alter Kutscher saß auf dem Bock dieser vorsintflutlichen Kutsche; gekleidet war er in einen sehr verbleichten, doch mit Tressen geschnürten, bis zur Sohle reichenden kirschfarbenen Mantel – der ungarischen Kutscherkleidung der sechziger Jahre –, und auf dem Kopf trug er einen ausgedienten, runden Hut, dessen Straußenfeder nur noch aus einigen Flaumbüscheln bestand. Wie eine Sichel, so krumm saß der Alte da und nickte ohne Unterlass mit dem Kopf, als wollte er den Pferden ständig ein Ja andeuten.
    Nun schloss die Kutsche zum Fiaker auf. Auf dem Vordersitz hinter den hermetisch geschlossenen Fenstern saß ein junges Kindermädchen mit einem großen Korb auf dem Schoß, und auf den hinteren Kissen hatte eine winzige, zusammengeschrumpfte Greisin Platz genommen.
    Bálint erkannte sie gleich und grüßte. Die alte Frau blickte abernicht zu ihm herüber, sondern sah blinzelnd, mit faltigen Augendeckeln vor sich hin, über den Kopf der Dienerin hinweg, weit ins Nichts, während sie den Mund gespitzt hielt, als pfiffe sie fortwährend. Die alte Frau Sarmasághy. Tante Lizinka, wie jedermann sie nannte, war sie doch über ihre vielen Brüder tatsächlich die Tante von beinahe allen, von zwei ganzen Generationen. Bei ihrem Anblick
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