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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen
Autoren: Miklós Bánffy
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verschlossenen Tore zu öffnen, die den Weg vom Garten des Herrenhauses zum Kirchhof und von dort zum Schlosspark freigaben.
    In frühen Jahren war es nicht die Aussicht, den Großvater zu treffen, die ihn dorthin lockte, sondern die guten Bissen, die er jedes Mal bekam, wenn er sich einstellte: frisches, ganz schwarzes Roggenbrot mit dickem Sauerrahm, kalte Büffelmilch oder irgendein süßes Gebäck, einen Rest der Mehlspeise tags zuvor. Ach, wie fein war das! Denn er war damals immer hungrig, und die Mutter oben im Schloss hatte verboten, ihm zwischen den Mahlzeiten Essbares zuzustecken. Wie er aber heranwuchs, begann ihn auch die Gesellschaft des alten Mannes anzuziehen. Er verstand es gut, freundlich und verständnisvoll mit dem Kind zu reden; den Geschichten von seinen kleinen Streichen hörte er mit einem milden Lächeln zu, während er seine Pfeife schmauchte, und nie verriet er jemandem das Vernommene.
    Kam er gegen Mittag herüber, dann fand er ihn bei gutem Wetter auf der Terrasse, bei kühler Witterung in der Bibliothek. Zu solchen Stunden pflegte er zu lesen. Dass er ihn dabei störte, nahm er nicht übel. Er las größtenteils wissenschaftliche Werke. Zahllose Zeitschriften wurden ihm zugestellt, und es war in der Tat bewundernswert, wie er mit der geistigen Entwicklung jener Zeit Schritt hielt, mit den Forschungen in dieser klassischen Epoche der modernen Entdeckungen. Er erzählte darüber gern seinem Enkel, fasste das Neueste, mit dem er sich gerade beschäftigte, klar und verständlich zusammen. Er war über die verschiedensten Themen gleichermaßen unterrichtet. Die Erkundungsreisen nach Afrika und nach Mittelasien spielten in seinen Berichten eine große Rolle, die größte Bedeutung maß er aber wohl dem technischen Fortschritt der letzten Jahre bei. In diesem Zusammenhang erwähnte er manchmal auch mathematische Lehrsätze und erklärte sie mit so klarer Einfachheit, dass der heranwachsende Enkel sie leicht begriff; die Algebra, als er ihr später im Theresianum begegnete, kam ihm beinahe bekannt vor. Aus dieser fernen Kinderzeit stammte vielleicht das Interesse, das Bálint auch später dafür bewahrte.
    Besuchte er den Großvater am Morgen, dann fand er ihn gewöhnlich im Garten. Er pflegte seine Rosen selber. Ebenso mit großer Hingabe setzte er beim Okulieren Edelknospen ein. Die Blumen gediehen denn auch wunderbar, viel größer und dichter als jene, die der Gärtner im Schloss behandelte. Jetzt, da er sich erinnerte, sah er ihn beinahe lebendig vor sich, wie er zwischen seinen Blumen stand. Er trug eine lange Rohleinenschürze und auf seiner immer noch gewellten weißen Haarkrone einen großen bäuerlichen Strohhut. Wie jugendlich sein Gesicht darunter noch wirkte, beleuchtet von den gelben Reflexen des Sonnenscheins! Schöne Züge: eine schmale, dünne Nase, grüngraue Augen, die umso heller schienen, als seine Augenbrauen trotz des hohen Alters schwarz geblieben waren. Über dem feinen Bogen des Munds ein spitz gezwirbelter, kleiner Schnurrbart, beinahe schwarz auch der, vielleicht vom Wichsen, welchen Geruch er selbst jetzt, beim Zurückdenken, beinahe zu spüren meinte, so wie er ihn immer gespürt hatte, wenn sich der alte Herr gemäß seiner Gewohnheit zu ihm hinabbeugte, um sich die Wange küssen zu lassen.
    Seine Wangen waren immer glatt. Er achtete peinlich darauf, jederzeit gepflegt und sauber zu sein. Er hatte die Gewohnheit, scherzhaft zu sagen: »Ein junger Mann kann auch schmutzig sein, aber ein alter Mann ist eklig, sogar gewaschen!« Er rasierte sich täglich selber, benutzte feine englische Rasiermesser, jeden Tag ein anderes, ein jedes nummeriert, er hielt sie in einem langen, grünen Etui aus Saffianleder.
    Kam der Junge an Sonntagen vor Mittagessenszeit, dann fand er auf der Veranda manchmal zwei bis drei Bauersleute vor; sie standen, den Hut in der Hand, vor dem alten Herrn und trugen ihm ihre strittigen Angelegenheiten vor. War er zu solchen Stunden zur Stelle, dann gab ihm der Großvater einen Wink, er dürfe bleiben, solle sich aber seitwärts aufs Sofa setzen. Nicht nur die Leute von Dénestornya kamen, sondern auch solche aus anderen, benachbarten Dörfern. Rumänen und Ungarn gleichermaßen, manchmal selbst Menschen von den Schneebergen her. Er stand von jeher im Ruf eines sehr gerechtenMannes. So suchten ihn die Leute oft auf, er möchte ihren Streit schlichten, bevor sie sich an einen Anwalt wandten. Der alte Péter Abády stand immer zur Verfügung. Regungslos
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