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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur
Autoren: Irvin D. Yalom
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Verwunderung den Kopf, während er Philips Akte aufklappte und fortfuhr, seine diktierte Notiz über ihre erste Sitzung zu lesen.

     
    AKTUELLE KRANKHEIT: – Sexuell getrieben, seit er dreizehn ist – zwanghaftes Masturbieren die ganze Adoleszenz hindurch, das bis heute angehalten hat – gelegentlich vier-, fünfmal am Tag – ständig von Sex besessen, masturbiert, um Frieden zu finden. Verbringt einen großen Teil seines Lebens damit, sich mit Sex herumzuquälen – er sagt: »Die Zeit, die ich darauf verschwendet habe, Frauen zu jagen – ich hätte Doktorate in Philosophie, Mandarin und Astrophysik erwerben können.«
     
    BEZIEHUNGEN: Einzelgänger. Lebt mit seinem Hund in einer kleinen Wohnung. Keine männlichen Freunde. Null. Ebenso wenig Kontakte mit Bekannten aus der Vergangenheit – Highschool, College, Universität. Außerordentlich isoliert. Hatte nie eine langfristige Beziehung mit einer Frau – vermeidet andauernde Beziehungen bewusst – zieht One-Night-Stands vor – trifft sich gelegentlich mit einer Frau einen Monat lang – meistens macht die Frau Schluss – entweder will sie mehr von ihm, oder sie wird wütend, weil sie sich benutzt fühlt oder weil er andere Frauen trifft. Ständiges Verlangen nach Neuem – Lust auf die sexuelle Eroberung – aber nie befriedigt – auf Reisen gabelt er manchmal eine Frau auf, hat Sex, schafft sie sich vom Hals und geht eine Stunde später von seinem Hotelzimmer aus wieder auf die Jagd. Führt Buch über seine Partnerinnen, eine Trefferliste, und hat in den letzten zwölf Monaten Sex mit neunzig verschiedenen Frauen gehabt. Erzählt das alles völlig ungerührt – keine Scham, keine Prahlerei. Fühlt sich unwohl, wenn er einen Abend mal allein ist. Gewöhnlich fungiert Sex für ihn wie Valium. Sobald er Sex gehabt hat, ist ihm den restlichen Abend über friedlich zumute, und er kann in Ruhe lesen. Keine homosexuellen Aktivitäten oder Fantasien.
     
    DER FÜR IHN PERFEKTE ABEND? Geht früh aus, gabelt Frau in Bar auf, schläft mit ihr (vorzugsweise vor dem Essen), entledigt sich der Frau so schnell wie möglich, vorzugsweise ohne
ihr ein Essen spendieren zu müssen, aber meistens läuft es doch darauf hinaus. Wichtig, so viel Zeit wie möglich zum Lesen zu haben, ehe er ins Bett geht. Kein Fernsehen, kein Kino, kein soziales Leben, kein Sport. Die einzige Entspannung sind Lesen und klassische Musik. Verschlingt Klassiker, Historisches und Philosophie – keine Romane, nichts Aktuelles. Wollte über Zenon und Aristarchos sprechen, seine gegenwärtigen Interessen.
     
    BISHERIGE GESCHICHTE: Wuchs in Connecticut auf, Einzelkind, obere Mittelschicht. Vater Investmentbanker, der Selbstmord beging, als Philip dreizehn war. Er weiß nichts über die näheren Umstände oder Gründe für den Suizid, hat die vage Vorstellung, dass er durch die ständige Kritik der Mutter ausgelöst wurde. Allgemeine Kindheitsamnesie – hat aus seinen ersten Lebensjahren wenig und von der Beerdigung seines Vaters nichts in Erinnerung. Mutter ging zweite Ehe ein, als er 24 war. In der Schule Einzelgänger, fanatisch ins Lernen vertieft, hatte nie enge Freunde und hat sich, seit er mit 17 auf der Yale anfing, ganz von der Familie gelöst. Telefonischer Kontakt mit der Mutter ein- oder zweimal im Jahr. Hat Stiefvater nie kennen gelernt.
     
    ARBEIT: Erfolgreicher Chemiker – entwickelt neue Pestizide auf Hormonbasis für DuPont. Strikte Trennung von Job und Freizeit, keine Leidenschaft für Beruf, langweilt sich seit neuestem bei der Arbeit. Hält sich über die Forschung auf seinem Gebiet auf dem Laufenden, aber nie in seinen freien Stunden. Hohes Einkommen plus wertvolle Aktienbezugsrechte. Ein Hamsterer: genießt es, seine Vermögenswerte tabellarisch zu erfassen und seine Investitionen zu verwalten, und verbringt jede Mittagspause, in der er die Börsenanalysen studiert, allein.

     
    EINDRUCK: Schizoid, sexuell zwanghaft – sehr distanziert – weigerte sich, mich anzusehen – begegnete meinem Blick kein einziges Mal – kein Anflug eines persönlichen Gefühls zwischen uns – keine Ahnung von zwischenmenschlichen Beziehungen, reagierte auf meine Hier-und-Jetzt-Frage, was sein erster Eindruck von mir sei, mit einer Miene der Verwirrung – als hätte ich Katalan oder Suaheli gesprochen. Wirkte nervös, und ich fühlte mich unwohl in seiner Gegenwart. Absolut kein Humor. Null. Hoch intelligent, drückt sich gut aus, geizt aber mit Worten –
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