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Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)

Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)

Titel: Die schönsten Sagen Österreichs (German Edition)
Autoren: Wolfgang Morscher , Berit Mrugalska
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Haymon
    Zu den bekanntesten Sagengestalten im deutschen Sprachraum gehört der Riese Haymon, der später zum Klostergründer von Stift Wilten wurde – aber bis es dazu kam, musste er viele Wege beschreiten, und diese verliefen nicht immer geradlinig.
    Es gehört jedoch zum großen Geheimnis der Welt, dass sich erst im Nachhinein gewisse Lebensabschnitte als wichtig herausstellen, und so war es auch bei dem starken Riesen Haymon mit dem germanischen Namen, der sehr wahrscheinlich aus dem Rheintal stammte.
    Haymon befand sich im besten Mannesalter – das heißt, er war schon einige hundert Jahre alt –, als er davon hörte, dass es im Inntal einen Drachen gab, der Mensch und Vieh das Leben schwer machte. Da sein letzter anständiger Kampf schon eine ganze Weile her und sein Leben in den vorangegangenen Jahren ziemlich fad gewesen war, packte er seine Rüstung und sein Schwert und machte sich auf, um gegen den Drachen zu kämpfen. Als Haymon nach einigen Tagen raschen Fußmarsches in das Inntal kam, da bemerkte er sofort, was hier los war. Angst und Schrecken herrschten hier, und je näher er zu der gewissen Sillschlucht kam, wo dieser feuerspeiende Drache seine Höhle hatte, desto zerstörter war die Umgebung. Ganze Bauernhöfe fand er in Schutt und Asche gelegt, auf den wenigen grünen Weiden stand kaum noch Vieh, und nur mehr ganz selten konnte er einen Mensch erblicken, der sich nicht schon versteckt hatte, als er sich näherte. Als Haymon nun die Sillschlucht fand, kurz bevor die Sill in den Inn fließt, da bemerkte er gleich den für Drachen typischen Gestank nach Schwefel und Aas.
    „Dann werde ich mir mal eine sichere Unterkunft bauen“, sprach er zu sich selber, ruhte sich nicht lange aus, sondern zog sogleich mit einem Baumstamm die Grundrisslinien auf den Erdboden. Erst als es finstere Nacht war, legte er sich für ein paar Stunden hin, um gleich mit dem ersten Sonnenstrahl weiter an seinem Haus zu bauen. Haymon stellte sich dabei besonders geschickt an und bis zum Abend standen bereits die Grundmauern, es fehlte nur noch der Dachstuhl. Den ganzen Tag über hatte er niemanden gesehen, weder Mensch noch Vieh oder gar den Drachen. Es herrschte eine gespenstische Stille und Gespanntheit über dem gesamten Gebiet, doch das bemerkte Haymon nicht, denn Riesen kennen keine Angst. Diese Nacht schlief Haymon besonders fest und erst am neuen Morgen sah er, was in der Nacht vorgefallen sein musste: Jemand war gekommen und hatte seine festen Grundmauern niedergerissen; es sah aus, als hätte jemand mit einem Rammbock hier gewütet.
    „Dass ich auch immer so fest schlafen muss“, ärgerte sich der riesige Mann und ballte die Fäuste.
    „Das kann doch wohl kein Zufall sein? Aber was soll’s, ich baue mir mein Haus schon wieder auf! Es schien mir eh fast ein wenig klein, ich werde es noch größer bauen“, murmelte er in seinen Bart und hatte bei diesen Worten schon die ersten Steine wieder aufgerichtet.
    Denn die Riesen können mittels ihrer Kräfte zwar viel bewerkstelligen, die Worte kommen ihnen aber nur sehr langsam über die Lippen. Der Eifer des Riesen beim Hausbau war enorm, und als er sich diese Nacht zur Ruhe legte, da standen schon wieder die Mauern, nur viel größer als zuvor.
    Es graute der neue Morgen und Haymon stand wieder vor einem Trümmerhaufen. Sein Haus war ein weiteres Mal zerstört worden, während er sich von den Strapazen des Tages ausgeruht hatte. Nun aber war es mit seiner Geduld vorbei. Er stieß einen furchtbaren Schrei vor Wut aus, so dass die Erde ein wenig zu beben begann und von den Hängen der Felsschlucht Steine herabstürzten. Da sah Haymon einen Bauern, der ihn erschrocken anschaute und nur mit Mühe sein Gleichgewicht halten konnte.
    „Wer war das?“, fragte Haymon den Bauern und versuchte seine Stimme unter Kontrolle zu bekommen.
    Der Bauer brachte vor Angst keinen Ton heraus und musste sich auf einen der Steinbrocken setzen, da ihn seine Beine nicht mehr halten wollten.
    „Wer hat was gegen mich und mein Haus?“, donnerte Haymon den Bauern an.
    „Wird wohl der Thyrsus sein, bei Seefeld droben“, brachte der Bauer schlotternd heraus und zeigte mit der Hand in die Richtung.
    Haymon legte nun bedächtig seine glänzende Rüstung an, nahm sein langes Schwert und machte sich über den Zirler Berg auf nach Seefeld. Haymon schäumte immer noch vor Wut; es dauerte gar nicht lange, da sah er ihn, den anderen Riesen. Den, den sie Thyrsus nannten, und der schon vor ihm hier war,
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