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Die schönsten Dinge

Die schönsten Dinge

Titel: Die schönsten Dinge
Autoren: Toni Jordan
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so, als hätte ich von Wissenschaft keine Ahnung und hätte Ihren Antrag nicht gelesen.«
    Meine Gedanken überschlagen sich. »Das ist so etwas wie eine Volkszählung für Tiere. Um herauszufinden, was genau dort lebt. Wir sammeln Knochenfragmente und Sporen. Vermessen Kotproben und machen Abdrücke. Solche Sachen.«
    Â»Ich glaube, langsam kann ich es mir vorstellen«, sagt er. »Das klingt faszinierend. Und schlägt den Typen mit den Schneeflocken um Längen.« Er steht auf und reibt sich die Arme, als wäre er es nicht gewohnt, so lange zu sitzen. »Nun, Dr. Canfield … wie heißen Sie mit Vornamen?«
    Â»Ella«, antworte ich mit der perfekten Verzögerung. Nicht so schnell, als müsste ich etwas beweisen. Nicht so langsam, als könnte ich mich nicht erinnern.
    Â»Nun, Ella. Das ist eindeutig das interessanteste Bewerbungsgespräch, das ich bis jetzt geführt habe.« Er streckt mir die Hand entgegen. »Vielleicht habe ich später noch ein paar Fragen an Sie. Ein paar Dinge, die ich abklären möchte. Kann ich Sie anrufen?«
    Genau diesen Ausgang habe ich natürlich gewollt und erwartet. Ich spüre, wie ich erröte. Er ist etwa einen Kopf größer als ich. Während wir uns die Hände schütteln, kann ich die Narbe auf seiner Handfläche natürlich nicht spüren, aber einen Augenblick lang stelle ich mir vor, mit den Fingerspitzen über die Erhebung zu fahren.
    Â»Natürlich.« Mit der anderen Hand angle ich eine Visitenkarte aus der Tasche. »Hier ist meine Handynummer. Darunter können Sie mich am besten erreichen. Ich bin oft im Museum oder bei meinen Studenten, und die Telefonzentrale der Uni ist ein hoffnungsloser Fall.«
    Â»Das ist doch praktisch«, sagt er, während er noch meine Hand festhält. »Wenn Sie nicht gefunden werden wollen.«
    Â»Aber ich will gefunden werden«, antworte ich.
    Ich laufe die Auffahrt zur Villa hinunter. Mittlerweile haben wir späten Nachmittag, dunkle Wolken schieben sich zusammen. Der Himmel lässt das Gras schillern. In der Mitte des Rasens sprudelt in einem steinernen Springbrunnen Wasser aus dem Mund eines Amors. Er ist von Beeten mit geometrisch angeordneten malvenfarbenen Blumen umgeben. In den letzten Wochen bin ich oft hier vorbeigefahren, aber jetzt, da meine Aufgabe erledigt ist, kann ich mich entspannen. Das Haus ragt wie eine zweistöckige edwardianische Insel aus einem sorgsam gesprengten grünen Meer. Von hier aus sind sie nicht zu sehen, aber auf den Satellitenaufnahmen liegt auf der einen Seite ein Tennisplatz und auf der anderen Seite ein klassischer rechteckiger Pool. Die Bäume recken ihre malträtierten Äste über die Mauer. Die Bäume sind reine Zierde: Sie haben starke Äste, glänzende Blätter und zarte Blüten, genau wie nützliche Bäume, aber sie bringen keine unsauberen, undisziplinierten Früchte hervor. Die verputzte Mauer ragt mindestens zweieinhalb Meter auf und fasst das komplette Grundstück ein. Aus Sicherheitsgründen. Da draußen treiben sich skrupellose Menschen herum. Man kann gar nicht vorsichtig genug sein.
    Auf der Straße gehe ich zu dem Auto, das ich mir für diesen Tag geliehen habe. Es ist absolut unauffällig und hat keinerlei Stil. Erst hinter der nächsten Ecke, als ich außer Sichtweite bin, nehme ich die Brille ab. Ich hätte mir so ein Gestell niemals ausgesucht, es ist unelegant und keine Designerbrille. Ich habe sie nur getragen, weil es zu den Regeln meines Vaters gehört, ein Requisit zu benutzen. In dem schweren Rahmen steckt einfaches Fensterglas. Ich habe sehr gute Augen.

B is heute erinnere ich mich an den heißen Bürgersteig und die schmerzhafte kleine Blase unter dem Riemchen meiner pinkfarbenen Plastiksandalen bei meinem ersten Mal. Und ich weiß noch, dass ich Angst hatte. Aber weder das Datum noch die Uhrzeit. Es war Sommer, vielleicht später Vormittag. Ich muss so um die sieben oder acht gewesen sein. Ruby ist gefahren, aber ich konnte sie nicht sehen. Wahrscheinlich hat sie mich von dem Café auf der anderen Straßenseite aus im Auge behalten. Ruby hat immer zugesehen, sie hat durch Schlüssellöcher oder um Ecken gespäht oder mit ihrem Opernglas quer über die Straße spioniert. Ihr Opernglas fand ich wunderbar. Es war so elegant, wie etwas, das Audrey Hepburn in einem schwarzseidenen Abendtäschchen bei sich
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