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Die schoenen Hyaenen

Die schoenen Hyaenen

Titel: Die schoenen Hyaenen
Autoren: Olivia Goldsmith
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ihrer schämte, brauchte er sie jetzt noch mehr als früher. Weil er seine Angst nicht loswurde.

3.
    Mary Jane stieg die Treppe zu dem Keller unter der Kirche hinunter, der in den letzten vierzehn Jahren als Probe- und Vorführraum benutzt worden war. Sie dankte Gott für die Wärme und lauschte sekundenlang dem Stimmengewirr und der Unruhe, die Schauspieler vor der Vorstellung um sich verbreiten.
    Der riesige Saal mit seiner niedrigen Decke wurde durch Säulen in einzelne Segmente aufgeteilt. Grüngestrichene Wände, ein grauer Kunststoffbelag auf dem Boden, Unmengen von Klappstühlen aller Farben und Formen und eine Bühne am einen Ende, die nur aus einem erhöhten Podest bestand, wirkten nur für Fremde abstoßend. Ein zerschlissener dunkelroter Vorhang, jetzt zurückgezogen, gab den Blick auf den engen Raum hinter den Kulissen und auf die Jupiterlampen frei. Einige Akteure standen in kleinen Gruppen zusammen und probten einzelne Passagen. Zwei Frauen stellten die Scheinwerfer ein, obwohl die Produktion noch weit von den Feinheiten der Beleuchtung entfernt war.
    Mary Jane entdeckte einen kleinen 'Tisch mit einer großen Kanne Kaffee und geöffneten Kekspackungen. Sie stürzte sich dankbar darauf. Genießerisch nippte sie an dem heißen Kaffee und knabberte dabei einen Keks. Obwohl Mary Jane sich nun schon viele Jahre in der New Yorker Theaterszene auskannte, packte sie die Atmosphäre immer aufs Neue. Ein Schauspieler konnte es sich zudem gar nicht leisten, die Chance, in seinem Beruf arbeiten zu dürfen, auszuschlagen, auch wenn es wie hier nicht bezahlt wurde. Und dieses Ensemble leistete gute Arbeit. Sam führte Regie, schrieb die Stücke, übernahm die volle Verantwortung.
    Als Sam vor sieben Monaten zum erstenmal nach Kalifornien reiste, hatte er dem Ensemble versprochen, daß es sich nur um eine vorübergehende Unterbrechung seiner Arbeit in New York handeln würde. In L.A., der Stadt mit den trügerischen Happyends, könne er nicht glücklich sein. Er schätze seine Arbeit hier beim Theater, das auch vor avantgardistischen Aufführungen nicht zurückschrecke. Alle hatten eingesehen, daß Sam völlig richtig handelte. Er mußte seine Chance in L.A. wahrnehmen.
    Der Kaffee wärmte Mary Jane wieder auf. Auch die Nähe der Menschen, die ein Leben führten wie sie selbst, machte sie wieder munter. Manche kannte sie schon zwölf Jahre und fühlte sich ihnen verbunden wie Familienmitgliedern. Ihnen allen war gemeinsam, daß sie nur mit Mühe über die Runden kamen. Alle hatten Talent, einige mehr, andere weniger, und alle trieb der Ehrgeiz, es eines Tages zu schaffen. Außenseiter sahen in dem Kirchenkeller nur einen Haufen Schauspieler. Sie wußten nicht, daß es sich um Kellner, Taxifahrer, Sprachlehrer, Sekretärinnen und Barkeeper handelte. Alle hatten Gelegenheitsjobs.
    Das neueste Ensemblemitglied, Bethanie Lake, begrüßte Mary Jane strahlend. Mary Jane mußte sich zwingen, ihre Abneigung gegen die bildhübsche Bethanie zu verbergen. Mary Jane war noch immer nicht in der Lage, ihre Kindheit und Jugend bei der Großmutter aus ihrem Gedächtnis zu streichen. Das schlechte Essen, die billige, ungepflegte Kleidung, derer sie sich schämte, spitzzüngige und höhnische Bemerkungen von Grandma und den Schulkameraden hatten sich tief in Mary Jane festgesetzt. Am schlimmsten hatte jedoch geschmerzt, daß Grandma recht hatte, wenn sie von ihrer dicken, häßlichen Enkelin sprach, deren Kopf voller verdrehter Träume steckte.
    Wie oft war Mary Jane in das dunkle, vermoderte Badezimmer des Bauernhauses geschlichen, um vom Spiegel ihre bösen Befürchtungen widerlegt zu bekommen. Eine Sechzig-Watt-Birne ohne Schirm zeigte gnadenlos alle Schwächen. In der flachen Schublade unter dem Arzneischrank tastete Mary Jane zwischen Haarnadeln, kaputten Scheren und teilweise verbrauchten Salben nach dem Handspiegel, dessen eine, gesprungene Seite vergrößerte. Auf der Kommode hockend und mit Hilfe des Handspiegels und dem über dem Waschbecken konnte Mary Jane ihr Profil betrachten.
    Sie wagte den Blick nie sofort. Er kostete sie eine ganze Portion Mut. Sie schloß die Augen und flüsterte ein Gebet.
    Ihr Herz klopfte, ihre Handflächen wurden feucht. Dann sah sie auf. Und stets überfiel sie tiefe Mutlosigkeit.
    Ihre gebogene Nase ragte weit unter der Stirn hervor. Die buschigen Augenbrauen trafen sich fast auf dem Nasenrücken, der sich nach unten zu fleischig verbreiterte, was in scharfem Kontrast zu den dünnen Lippen
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