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Die Schöne und das Biest

Die Schöne und das Biest

Titel: Die Schöne und das Biest
Autoren: Emilia Jones
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allerdings auch einen Gang auf der rechten Seite. Pure Dunkelheit lag darin. Es brachte sie zum Frösteln, und sie fragte sich, warum sie den Blick nicht einfach wieder abwenden und davonlaufen konnte.
    Da war es wieder! Dieses Kratzen. Es näherte sich, begleitet von einem Schlurfen. Belle nahm all ihren Mut zusammen. Sie suchte mit der freien Hand am Treppengeländer Halt, um sich nicht von der Angst zu Boden reißen zu lassen.
    „Komm raus und zeig dich!“, forderte sie und wurde sich bereits im nächsten Moment ihrer Unvernunft bewusst.
    Ein grauenhaftes Etwas stürzte aus der Dunkelheit heraus. Es machte einen Satz an ihr vorbei und brachte sie zum Taumeln. Jetzt glitt der Ast ihr doch aus der Hand und fiel polternd zu Boden. Belle riss die Augen weit auf, um ganz genau sehen zu können, was sich dort in der Eingangshalle zu seiner vollen Größe aufbaute. Sie unterdrückte den Impuls, wie eine Wahnsinnige loszuschreien. Stattdessen griff sie auch mit der anderen Hand nach dem Treppengeländer. Ihre Knie fühlten sich so unsäglich weich an.
    Da stand ein Mensch gewordenes Tier, bestimmt vier oder fünf Köpfe größer als sie selbst. Sein Kreuz war unglaublich breit, und die Arme dick und vermutlich voller Kraft. Es trug einen Fetzen von einer Hose. Ansonsten hing ihm das Fell in verdreckten Zotteln herab. Seine Hände und Füße waren Pranken mit gefährlichen, langen Krallen. Mit einer dieser riesigen Pranken hielt er ein wimmerndes Menschenbündel fest.
    „Vater!“, stieß Belle entsetzt aus.
    Das Ungeheuer streckte den gewaltigen Kopf vor und zeigte ihr knurrend seine beeindruckend scharfen Zähne.
    Belle konnte kaum die Tränen unterdrücken. Sie schniefte. Wie schwach sie doch war! „Bitte, tu ihm nichts. Verschone sein Leben. Er hat nichts Unrechtes getan.“
    Das Ungeheuer antwortete mit einem Brummen, das nur sehr entfernt wie ein lang gezogenes menschliches Wort klang. Belle verstand esnicht. Sie legte den Kopf schief und starrte ihr Gegenüber einfach nur an.
    „Du verstehst mich nicht einmal, habe ich recht?“
    Sie ließ die Schultern hängen.
    „Waaarrruummmm ...?“, knurrte das Wesen dieses Mal deutlicher.
    Belle zuckte erschrocken zurück. Sie konnte es nicht fassen. Versuchte dieses Tier tatsächlich mit ihr zu sprechen?
    „Warum sollte ich sein Leben verschonen?“, fragte es schließlich mit einer tiefen, rauen Stimme, was keinen Zweifel mehr daran ließ, dass es sehr wohl in der Lage war, sich mit einem Menschen zu verständigen. Diese Tatsache versetzte Belle einen Stich. Plötzlich spürte sie Wut in sich aufsteigen.
    „Und warum solltest du es nicht? Er hat dir sicher nichts getan! Wie sollte er auch? Sieh dich doch an!“
    Von Belles Anklage getroffen, warf das Ungeheuer den Kopf zurück und brüllte laut auf. „Du kommst hierher, in mein Haus, ohne dass ich dich hereingebeten habe — und beleidigst mich?!“
    Belle spürte wie ein Zittern — angefangen von ihren Zehenspitzen — in ihr emporkroch. Ihre Angst und Schwäche drohten nun wirklich die Oberhand zu gewinnen. Sie stolperte zurück. Schließlich landete sie mit dem Hinterteil auf den Treppenstufen. Dennoch blieb ihr Blick starr auf dem Ungeheuer hängen. Um keinen Preis wollte sie es aus den Augen verlieren — ihn oder das, was er ihrem Vater antun würde.
    „Dein Vater kam hierher und zertrampelte meine Rosen.“ Grob schubste es ihren Vater von sich. Der blieb halb bewusstlos am Boden liegen. Nur ein leises Keuchen war von ihm zu hören.
    „Meine wundervollen Rosen!“, heulte das Tier. „Das Schönste, was ich in meinem Schloss beherbergt habe, ist dahin.“
    „Aber er hat doch nur Hilfe gesucht“, gab Belle mit dünner Stimme zur Antwort.
    „Hier?“
    „Ja.“ Sie senkte den Kopf.
    Dann trat Schweigen ein.
    „Ist das alles, was du zu sagen hast?“
    Belle schwieg.
    „Dann geh. Ich kann deinem Vater nicht helfen. Und du kannst es offensichtlich auch nicht.“ Das Untier machte mit einer seinergewaltigen Pranken eine abfällige Handbewegung. Gleich darauf packte es sein Opfer am Kragen und war im Begriff, es über den Boden hinter sich herzuschleifen.
    Belle war entsetzt. Sie glaubte in einem schrecklichen Alptraum gefangen zu sein. Dieses Tier nahm ihren Vater mit sich, um ihn weiterhin zu quälen. Vermutlich bis zum Tode. Sie selbst aber ließ es achtlos zurück.
    „Ich bringe dir neue Rosen!“, rief Belle ihm in einem verzweifelten Versuch hinterher.
    „Sie können meine alten nicht ersetzen.“
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