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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman
Autoren: Simone Neumann
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diejenigen, die ihn geliebt hatten, wünschten sich das. Denn nichts war grauenhafter, als wenn die Seelen der Toten weiterhin im Diesseits wandelten und die Lebenden in Angst versetzten.
    Natürlich wurde auch des neuen Gottes und seines Sohnes Jesus Christus gedacht. Man betete – so gut man konnte – für den Toten, hoffte auf sein Seelenheil und legte ihm ein Holzkreuz auf die Brust.
    Danach begannen die Frauen mit der Totenwache, während sich Ansgar und Gernot auf den Weg machten – der eine, um den Grafen Bernhard aufzusuchen, diesem vom Tode des Bruders zu berichten und sich selbst vom Heerdienst freistellen zu lassen, der andere, um die Mitglieder der Großsippe sowie alle freien Nachbarn im Umkreis zum Totenmahl für den verstorbenen Rothger zu bitten.
    Alle, bis auf die Familie des Meinrad.
     
    »Ja, er war sehr trunken, als er von meinem Hof aufbrach. Die Nacht war schon zur Hälfte vorüber, und wir hatten bereits seit dem frühen Abend zusammengesessen und gezecht.«

    Es war Liudolf, der da sprach, Oberhaupt der Stammsippe der Hilgerschen und Gastgeber des Gelages, von dem Rothger nicht lebendig heimgekehrt war.
    Das Totenmahl war schon seit einiger Zeit beendet, aber die Männer saßen noch immer um den großen Tisch im Hause der Hilgerschen zusammen, leerten wiederholt ihre Trinkgefäße und sprachen über all die wichtigen Begebenheiten, die sich in der letzten Zeit zugetragen hatten.
    Ihre Frauen und Kinder waren bereits in die Siedlung und in ihre umliegenden Höfe zurückgekehrt, und die Frauen der Hilgerschen Sippe hatten bereits Ordnung gemacht und sich dann in die andere Hälfte des großen Raumes zurückgezogen. Einige verrichteten noch Handarbeiten, andere, wie die Schwestern Berta und Gisela, hatten sich bereits schlafen gelegt. Inga saß da und entwirrte eine alte Spindel, um sie wieder brauchbar zu machen. Aufmerksam lauschte sie dabei den lallenden Worten der Gäste und Ansgars, des neuen Hausherrn.
    »Er lag unmittelbar unter der Blitzeiche. Muss wohl im vollen Galopp mit dem Kopf gegen den Ast gestoßen sein. Anders kann ich es mir nicht erklären.« Ansgar sprach noch immer ruhig, er wirkte fast nüchtern.
    »Ein böser Unfall. Man sollte den Baum endlich fällen«, riet einer der Gäste, und dann fragte er: »Was wirst du jetzt tun, Ansgar? Hast du darüber nachgedacht, Vasall des neuen Klosters zu werden? Sei nicht so starrköpfig wie dein Bruder. Auch ich werde es machen. Es ist zu unserem Nutzen, lasst es euch gesagt sein. Was bringt es uns, auf unsere Freiheit zu pochen, wenn sie sie uns früher oder später ohnehin nehmen? Lieber gehe ich aus freien Stücken und unter guten Bedingungen, als dass ich eines Tages mit leeren Händen und als Höriger dastehe.«
    »Als Vasall bist du nicht besser als ein Höriger«, antwortete Ansgar.

    »Das ist nicht wahr. Selbst der Graf und alle Edelinge im alten Augau sind Vasallen des Königs. Die sind doch nicht hörig.«
    »Du aber bist kein Edler, du bist ein Friling. Und ein Friling zählt bei den Franken nicht mehr als ein Unfreier. Die kennen keine Freien, da gibt es nur Edle und Hörige. Lieber lass ich mich von denen erschlagen, als dass ich ihre Lockspeisen annehme und ihnen mir nichts, dir nichts das Land meiner Väter zur Verfügung stelle, um mich selbst zum Knecht herabzuwürdigen.«
    »Das mag alles wahr sein, Ansgar«, warf Liudolf ein. »Aber mit dem neuen Kloster sind auch neue Herren in die Gegend gekommen. In den zwei Jahren, in denen es nun da unten an der Weser erbaut wird, hat es schon so viele Schenkungen an die Mönche gegeben, dass sie bereits über mehr Land verfügen als die edle Sippe der Billinge. Ganz zu schweigen von dem Königsgut, das sie vom Kaiser als Lehen erhalten haben. Ja, geschenkt hat er es ihnen gar, heißt es. Und dass sie sogar den Grafen gezwungen haben, Ländereien an sie zu verkaufen, ist euch allen bekannt. Wenn die einen Grafen zwingen können, dann werden sie vor einem Freien keinen Halt machen. Es gibt kaum einen Freien, der nicht überlegt, ihnen seine Dienste anzubieten. Sie umzingeln uns, quetschen uns ein wie die Midgardschlange die Welt, und irgendwann bekommen wir keine Luft mehr. Lass dir das gesagt sein, Ansgar.«
    »Der freie Meinrad ist da nicht besser, will auch nicht nachgeben«, meinte Wulf, ein dicker, rotgesichtiger Vetter Liudolfs, und warf Inga dabei einen geringschätzigen und gleichzeitig lüsternen Blick zu. »Wo wir schon über den sprechen, Ansgar«, fuhr er fort,
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