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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman
Autoren: Simone Neumann
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Hilger dem Hatho an Größe und Gewicht kaum nachstand, schulterte dieser den verwundeten Freund und lief mit ihm davon. Wenige Schritte vom Hain entfernt warf er Hilger hinter einen mannshohen Felsbrocken, hinter welchem auch er sich sogleich verbarg. In der Dunkelheit konnte Hatho verfolgen, wie die Häscher alle Männer einfingen. Alle außer Hilger und ihn.

    Erst im Morgengrauen war die Luft rein, um die Flucht fortzusetzen. Vier Tage benötigte Hatho, um seinen verwundeten Freund zurück ins heimatliche Augau an der Weser zu bringen.
    Und es vergingen noch Wochen, bis sich Hilger von seiner Verwundung erholt hatte. Er sprach nur wenig. Seine Frau, seine Mutter und seine Schwestern wachten Tag und Nacht an seinem Lager, und hin und wieder kam Hatho herbei, der junge Schmied aus dem Tal am südlichen Rande des heiligen Berges, um nach dem Freund zu sehen.
    »Ich habe Kunde davon, was mit ihnen allen geschehen ist«, berichtete Hatho eines Tages.
    »Auch an mich ist es bereits herangetragen worden«, erwiderte Hilger ruhig, aber mit eiskalter Stimme. »Die Seherin Wanda hatte es schon vor der Schlacht vorausgesagt. Wir haben ihr nicht geglaubt.«
    Hatho nickte, dann murmelte er folgende Worte vor sich hin: »Siegreich werden sie sein und dennoch nicht siegen. Wiederkehren werden drei, aber dennoch nicht bleiben. Einer jedoch wird Rache üben.«
    Mit leerem Blick starrte Hilger an die rußgeschwärzte Wand. »Es heißt, man habe die Gefangenen wie Vieh zusammengetrieben. Die Waffen hat man ihnen genommen. Und dann hat man ihnen die Köpfe abgeschlagen.«
    »Was für ein Sieg«, fügte Hatho hinzu.
    »Ja, was für ein Sieg. Verrat im Moment des Triumphes. Und das von den eigenen Leuten.«
    Hilger zog sein verletztes Bein zu sich heran und ließ es mit schmerzverzerrtem Gesicht sinken. Dann drehte er sich zur Wand und sprach drei Tage lang kein Wort mehr.
     
    Am vierten Tage erhob er sich plötzlich und humpelte davon.
    Sein Weg führte ihn durch den Wald seiner Väter in Richtung
Süden, er durchquerte das Tal, ignorierte die große Siedlung zu seiner Linken und hinkte den nächsten Berg hinauf – den, welchen man schon seit Urzeiten den heiligen Berg hieß. Das Haus des Schmieds ließ er hinter sich, ohne dort vorbeizuschauen, und schleppte sich weiter fort, in den Wald, der schon bald am Hang des Berges begann und Meinradscher Wald genannt wurde. Bald hatte er eine große Lichtung erreicht, und in dieser Lichtung lag der Meinradsche Hof.
    Der alte Meinrad war seit wenigen Jahren tot, und sein Sohn Bero war nun Herr im Hause. Hilger blieb vor dem dichten, aus Weidenruten geflochtenen Zaun stehen, der das Gehöft umgab. Das Tor war geöffnet, doch den Grund des Bero wollte er nicht betreten. Stattdessen starrte er von außerhalb auf das Langhaus. Nach wenigen Augenblicken kam ein kleiner Junge zu ihm gelaufen, vier oder fünf Jahre mochte er zählen.
    »Wohin willst du? Willst du zu meinem Vater?«
    »Ja«, sagte Hilger nur.
    »Da hast du Glück. Alle anderen sind fort. Nur Vater und ich nicht. Ich gehe ihn gleich holen.« Im Nu war der Kleine im Stall verschwunden und kam sogleich mit seinem Vater an der Hand wieder heraus.
    Bero stutzte zunächst, als er Hilger sah. Doch dann ging er lachend auf ihn zu.
    »Es freut mich, dass du genesen bist. Ich hoffe, du bist stark genug, ein Bier mit mir zu trinken. Es können auch zwei oder drei sein. Komm nur herbei.«
    Hilger schwieg. Als Bero schließlich vor ihm stand, um ihm den Arm auf die Schulter zu legen und ihn zum Haus zu führen, bückte sich Hilger. Ganz langsam bückte er sich und griff nach einem Stock, einem mittelgroßen, schweren Ast, der dort auf dem Boden lag. Bero lachte noch immer freundlich und hub gerade an, etwas zu sagen, als Hilger zuschlug.

    Er traf den um mehr als einen Kopf kleineren Bero an der Schläfe, und dieser ging sofort zu Boden. Verwundert schaute er Hilger an, als dieser erneut ausholte und auf den im Staub Liegenden einschlug. Der kleine Meinrad lief herbei, zog Hilger am Hosenbein, weinte und schrie, aber dieser störte sich nicht an dem Kind.
    Wie ein Wahnsinniger prügelte er auf Bero ein, ohne Unterlass. Schon lange regte dieser sich nicht mehr, lag verkrümmt und mit gebrochenen Knochen in seinem eigenen Blut.
    Endlich hielt Hilger inne, warf den Stock beiseite, drehte sich um und humpelte davon, das weinende Kind und den toten Bero zurücklassend.

I
    Auf dem Hofe der Söhne des Hilger im Jahre 825
    S tocksteif und
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