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Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman
Autoren: Simone Neumann
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Nacht vor der Abfahrt mit einigen Händlern aus dem äußersten Süden des Reiches so lange, dass allesamt gegen Morgen mehr tot als lebendig unter den Bänken der Taverne lagen und dort auch eine Weile liegenblieben. Das war der richtige Augenblick für Inga. Zwei Stunden hatte sie noch, dann würde die Sonne aufgehen, aber zwei Stunden mussten in jedem Fall ausreichen, um ihr Vorhaben zu vollbringen. Leise schlich sie sich in den Hof, um das Fass zu holen. Ansgar schlief bereits, sie hatte ihm vorsorglich einen starken Schlaftrunk verabreicht, der ihn sicherlich nicht vor Mittag erwachen ließ. Hoffentlich wäre der Friese zügig wieder auf den Beinen, damit der Kahn schon weit genug fort war, wenn der ungebetene Mitreisende sich in seinem Fass zu rühren begann.
    Plötzlich durchfuhr Inga ein Schreck. Ihr Fass war fort. Das konnte doch nicht wahr sein. Ottmar konnte es doch nicht weggenommen haben! Er bewegte sich selbst kaum, geschweige denn, dass er ein solch schweres Ding bewegt hätte. Wo war es nur?
    In der Dunkelheit konnte Inga so gut wie nichts ausmachen. Verzweifelt stapfte sie über den Hof, trat immer wieder in Schlamm und sonstigen Unrat der zahlreichen Gäste, doch das war ihr gleich, sie musste dieses verfluchte Fass finden.
    Da – da war es. Vor dem Stall. Eine halbe Ewigkeit schien vergangen zu sein, aber jetzt hatte sie es gefunden. Einige der Gäste mussten es fortgerollt und als Stehtisch benutzt haben, denn neben und auf dem Fass lagen und standen noch allerlei Krüge sowie zahlreiche Scherben. Mühsam kippte Inga das Ding um und rollte es durch den widerlichen Schlamm in Richtung der Hintertür.

    Als sie endlich an Ansgars Lager angekommen war, klebte allerlei an dem hölzernen Bottich, vor allem schmutziges Stroh, welches sich wie ein zotteliger Pelz rundherum gelegt hatte. Jetzt würde sie das Ding auch noch in der Weser waschen müssen, bevor sie es auf das Schiff verfrachtete. Gut, dass noch genügend Zeit blieb.
    Inga war so sehr damit beschäftigt gewesen, sich um das Behältnis zu sorgen, in welches sie nun den armen Ansgar heben müsste, dass es ihr erst jetzt auffiel: Er war gar nicht mehr da.
    Oh Schreck! Jetzt war auch noch Ansgar fort.
    Zunächst suchte sie alle Lager ab, drehte die Schlafenden teilweise sogar um, um in ihre friedlich schnarchenden Gesichter zu blicken, dann schaute sie unter Tische und Bänke, in alle Ecken, in den Hof, in den Stall. Schließlich lief sie vor die Türe, durchkämmte alle Gassen, blickte in die Höfe der großen und der kleinen Häuser, lief hinunter zum Fluss. Doch sie fand ihn nicht.
    Und dann ging bereits die Sonne auf.
    Resigniert marschierte Inga zurück zur Taverne. Den Kopf gesenkt, die Haare kraus, die nackten Füße bis zu den Knöcheln voller Schmutz.
    »Na, da hat wohl jemand auch die ganze Nacht gesoffen.«
    Es war der Friese, der plötzlich vor ihr stand. Bei ihm seine Männer. Allesamt sahen sie aus wie das blühende Leben. Aber das war auch nur der erste Eindruck. Denn plötzlich verdrehten sich die Augen des Kaufmanns, und er wäre sicherlich hintenübergefallen und liegengeblieben, hätte nicht einer seiner Männer ihn mühsam, weil selbst vollkommen trunken, gehalten. Wankend stolperten sie hinunter zur Weser.
    Jetzt werden sie gleich ablegen, und ich habe meine Möglichkeit verpasst, dachte Inga. Wenn ich diesen dummen Ansgar
finde, bleibt mir nur noch der Ausweg, ihn auf den Rücken eines Karawanenesels zu binden, um ihn loszuwerden. Aber das bliebe nicht einmal bis zum nahen Waldrand am Hellweg unerkannt. Inga war verzweifelt.
    Traurig ging sie zurück ins Haus, wusch sich, kämmte sich und begann den verbliebenen Gästen ein Frühstück zu kochen. Müde und lustlos rührte sie im Kessel, während Ottmar in der Nähe auf seinem Hocker saß, ihr dabei zuschaute und unablässig über alles und jeden, eingeschlossen Inga, lamentierte. Als endlich allesamt gezahlt und aus dem Gasthof verschwunden waren, ging auch Inga hinunter zur Weser. Sie mischte sich nicht unter das Volk, welches sich, teils neugierig, teils letzte Geschäfte machend, unten an der Anlegestelle versammelt hatte. Sie schlurfte lustlos den Pfad in Richtung des Klosters entlang, um sich schließlich auf einem großen Stein direkt am Ufer des Flusses niederzulassen und benommen kleine Kiesel ins Wasser zu werfen.
    Er würde wieder auftauchen. Gewiss sogar noch im Laufe des Tages. Aber dann war es zu spät. Und auch für sie wäre es zu spät. Solange er da war,
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