Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schluesseltraegerin - Roman

Die Schluesseltraegerin - Roman

Titel: Die Schluesseltraegerin - Roman
Autoren: Simone Neumann
Vom Netzwerk:
umnebelter Geist war, der auch dich in diesen Wahnsinn getrieben hat. Hoffentlich bist du nun befreit davon. Tief in deinem Innern musst auch du ihn verabscheut haben, Ada, sonst wärest du nicht imstande gewesen, seiner Leiche so etwas anzutun.«
    Ada blickte zu Boden und sagte leise: »Er selbst hätte es von mir verlangt. Ich konnte ihn nicht fortschleppen, er war zu schwer. Wie hätte ich ihn durch die dichten Dornen zu einem geeigneten Platz zerren sollen, an dem man ihn hätte verscharren können? Ich habe es versucht, aber es ging nicht. Mir zerreißt es das Herz, wenn ich mir vorstelle, was sie in der Siedlung mit seinem Leichnam angestellt haben. Das, Inga, ist schlimmer als die Tatsache, dass ich seinen Kopf genommen und angemessen bestattet habe.«
    Inga nickte nur, dann schlug sie vor: »Ich werde mit Gunda sprechen. Sie soll eine Legende über den Waldmann verbreiten. Eine schaurige Geschichte, die alles erklärt, ohne dass der Verdacht auf deine oder meine Familie fällt.«
    »Man wird solch ein Märchen kaum glauben. Nicht, wenn plötzlich ein Meinradscher und eine Tochter des Hatho die neuen Herren des Hilgerhofes sind.« Ada war skeptisch.
    »Gibt es eine andere Möglichkeit?«, fragte Inga. »Es war alles ein böser Fluch. Auf dich ist bislang ohnehin nicht der geringste Verdacht gefallen. Und was meinen Bruder betrifft, so wird ein jeder verstehen, dass den Hilgerschen ihr Erbfeind dennoch lieber ist, als dass sie ihre Freiheit einbüßen, indem sie ihr Gut
der Kirche verschreiben. Bero ist der einzige verbliebene heiratsfähige Freie der Gegend. Mir fällt kein anderer Bräutigam für dich ein. Wenn du Bero heiratest, wird das niemandem seltsam erscheinen, niemandem außer Gisela und Ansgar.«
    »Lass sie meine Sorge sein, Inga.«
    Inga schaute Ada aus zusammengekniffenen Augen an. Sie ahnte Schlimmes, aber schließlich sagte sie nur: »Ich werde mich im Gegenzug um Ansgar kümmern. Und eine Sache noch: Sollte meinem Bruder in den nächsten Jahren etwas zustoßen, werde ich dafür sorgen, dass alle alles erfahren. Hast du das verstanden, Ada? Du hast nun dein Ziel erreicht, deine Kinder werden eines Tages erben – allerdings erst dann, wenn mein Bruder als Greis eines gewöhnlichen Todes stirbt.«
    »Wird dein Bruder sich darauf einlassen?«
    »Ich habe bereits alles mit ihm besprochen.«
    »Du bist abgefeimter, als ich dachte, Inga.«
    »Jeder kann sich in jedem täuschen. Aber eines bin ich gewiss nicht, Ada: eine Mörderin.«
    Ada nickte betroffen. Sie wagte es nicht, Inga in die Augen zu schauen, gab ihr nur die Hand und sagte leise: »Sag deinem Bruder, dass ich ihn treffen will, hier an diesem Ort. Gleich morgen in der Früh.«
    Und damit steckte sie sich die Schlüssel an den Gürtel ihres Kleides und ging schnellen Schrittes davon. Inga schaute ihr nach. Ihr Herz raste, sie ließ die Schultern nach vorne sinken und blieb erschöpft auf der Bank sitzen. Ihre Hände legte sie auf den Bauch und begann leise zu schluchzen.
    Irgendwann – sie wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatte – raffte sie sich auf, ging zum Bach, wusch sich das verweinte Gesicht mit dem kalten, klaren Wasser und machte sich dann auf den Weg zur Kapelle.
    Furchtbare Ahnungen hatten ihre Bestätigung gefunden. Seit
einer Weile schon – seitdem die Zwillinge das eigentümliche Gebräu im Spinnhäuschen gefunden hatten – waren ihr derlei Gedanken durch den Kopf gegangen. Seither musste sie immer und immer wieder daran denken, dass ihr Versagen, dem Herrn des Hilgerhofes einen Erben zu schenken, nicht dem Schicksal, sondern der Hand eines bösen Menschen anzulasten war. Doch an Ada hatte Inga dabei niemals gedacht. Bis sie den Schlüssel im Wald gefunden hatte. Und nun hatte sie es aus deren eigenem Mund erfahren.
    War es wirklich richtig, dieser Frau nicht zu zürnen? Sie gar für ihre schrecklichen Taten zu entlohnen? Ada war bereits eine gestrafte Frau, und so sehr Inga sie zu verabscheuen versuchte, sie konnte es nicht. Sie empfand nicht Wut, sondern Mitleid. Ja, sie hasste sich selbst für diese seltsame Verbundenheit, welche sie nach wie vor zu ihrer Schwägerin verspürte, und es behagte ihr ganz und gar nicht, sich vorstellen zu müssen, dass Ada für ihre Taten schändlich bestraft würde.
    So schmerzlich es auch war, das Vergangene musste ruhen. Wozu weitere Rachegelüste schüren? Inga war es müde, sie wollte Frieden, nichts als Frieden. Und vielleicht auch ein bisschen Liebe.
    Sie atmete drei Mal tief
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher