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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
Autoren: Wolfgang Brenner
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Kasernenhofton:
    »Sitz, Zappa!«
    Zappa knurrte und bellte laut. Diesmal zuckt Pfeifenberger zusammen. »Ich glaube, ich darf ihn nicht zu hart anfassen. Der Züchter sagt, er ist ein bisschen neurotisch und neigt deshalb zu Überreaktionen.« Er streichelte vorsichtig den riesigen Stierschädel des Tieres und sagte:
    »Bleib einfach stehen, Zappa!« Daraufhin ließ Zappa sich auf dem Fußboden nieder und legte mit geschlossenen Augen die Schnauze auf seine Vorderläufe.
    »Er sieht so friedlich aus, nicht wahr?«, schwärmte Pfeifenberger. »Wie ein Walfisch.«
    Germersheimer schneuzte sich und sagte dann – fast erleichtert: »Stimmt.«
    Pfeifenberger hob den Zeigefinger: »Aber Vorsicht! Das täuscht. Ein anderer Hund gleicher Rasse hat letztens in Offenbach ein Fahrzeug der städtischen Müllabfuhr angegriffen, durch die Fußgängerzone gejagt und in einer Sackgasse schrecklich zugerichtet.«
    Auch Elvira geriet beim Anblick des schlafenden Hundes ins Schwärmen: »Diese Kraft und diese Würde. Sehr männlich. Man möchte ihn am liebsten in den Arm nehmen.«
    Pfeifenberger machte ein besorgtes Gesicht. »Vorsicht, mit Zappa ist nicht zu spaßen.«
    Schmalenbach verlor die Geduld. »Was soll das? Wieso hast du plötzlich dieses Untier? Und wieso hängt da draußen kein Schild: Hunde müssen draußen bleiben?«
    »Der ist doch so putzig«, jammerte Elvira. »Wie kann man nur gegen Zappa etwas haben?«
    Zappa hob den Kopf, schaute müde in die Runde, erhob sich, ging zum Tresen und pinkelte dagegen. Alle lachten herzhaft. Alle – außer Schmalenbach.
    »So eine Schweinerei«, schimpfte er. »Ich wechsle das Lokal.«
    Pfeifenberger versuchte den Freund zu beruhigen.
    »Schau ihn dir doch mal an! Ist so ein Tier nicht das verlorene Bindeglied zur Natur? Weckt er in dir nicht verschüttete Instinkte? Spürst du nicht den Wind der Steppe, seiner asiatischen Heimat, durch die Stube wehen?«
    Schmalenbach schmollte: »Zappa gehört in den Zoo. Was ist, wenn er jemanden anfällt?«
    Pfeifenberger machte wieder ein ernstes Gesicht. »Aber dafür habe ich ihn ja. Heutzutage braucht man als Großstädter einfach ein Gefühl der Sicherheit.«
    »Gegen spielende Kinder?«, fragte Schmalenbach scharf.
    »Gegen Kriminelle. Gegen die Zumutungen des Alltags in der Großstadt. Zappa ist die beste Prävention. Die Horde verzogener Halbwüchsiger aus meinem Haus, die schon mal einen Mülleimer auf meinen Range Rover ausgeleert hat … Seit Zappa mich begleitet, grüßen sie mich freundlich. Kürzlich hat einer gefragt, ob er meinen Müll runtertragen soll.«
    Das machte Schmalenbach noch wütender: »Es gibt nur einen einzigen Grund für dich, dieses gemeingefährliche Biest mit dir rumzuschleppen: weil es schick ist, so einen weißen Ochsen spazieren zu führen. Weil deine Freunde aus der Frankfurter Kulturschickeria alle ihre Dalmatiner oder Doggen haben. Und ich will dir noch was sagen, du Spinner …«
    Doch dazu kam Schmalenbach leider nicht mehr. Zappa war aufgestanden, hatte sich auf die Hinterläufe gestellt und war mit den Vorderläufen auf Schmalenbachs Schultern gestiegen. Er bellte laut, und Schmalenbach fiel rücklinks auf den Nachbartisch.
    Im »Promi« war die Hölle los. Germersheimer riss den Feuerlöscher von der Wand. Dieter pfiff auf einer Trillerpfeife. Elvira ließ einen Eimer Wasser voll laufen.
    Pfeifenberger schaute eine Weile ruhig zu und sagte dann: »Zappa, lass den!«
    Zappa ließ wirklich von Schmalenbach ab, wandte sich aber sofort Germersheimer zu, bellte ihn böse an, worauf Germersheimer den Feuerlöscher fallen ließ und hinausrannte. Zappas Instinkt war geweckt. Er jagte hinterher, setzte zum Sprung an und fällte den Literaten, bevor dieser in die anfahrende Straßenbahn springen konnte.
    »Tierpsychologisch gesehen war der Angriff geradezu zwingend«, behauptete Pfeifenberger. »Warum musste Germersheimer auch diese abrupte Fluchtbewegung machen?«
    Schmalenbach lief hinaus und half dem unverletzten, aber geschockten Germersheimer auf die Beine. »Entweder wir oder Zappa!«, erklärte er dann und ging nach Hause.
    Tage später. Natürlich hatte sich der »Promi«-Vorfall in Frankfurt herumgesprochen, und Schmalenbach wurde jetzt allgemein eine chronische Hundephobie nachgesagt, während die gesamte Kulturszene darin übereinstimmte, dass Zappa der sympathischste Neuzugang der Saison war. Schmalenbach hingegen fand es an der Zeit, zu überprüfen, wie loyal oder illoyal sich die
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