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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Autoren: Eric Walz
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sich der Sekte sogar insgeheim anschlossen. Aus dieser Kombination heraus entstand meine Figur, halb historisch, halb fiktiv.
    Was den Charakter der Figuren angeht, habe ich mich an mein Prinzip gehalten: Ich verlasse mich zunächst nur auf die Fakten und auf nichts anderes, und gebe der Figur erst danach ihr endgültiges, von Propaganda befreites Profil. Pontius Pilatus ist hierbei ein wunderbares Beispiel. Für uns, die wir aus der Bibel, von der Kanzel und durch hundert Filme zum Thema geprägt sind, ist Pilatus der Inbegriff des grausamen Römers geworden, der Unterdrücker schlechthin. Doch je mehr Quellen ich studierte, desto stärker geriet dieses Bild ins Wanken. Pilatus als Prokurator von Judäa war unsicher, wankelmütig, in politischen Dingen geradezu ängstlich. Er war zu einfältig, um die Juden zu verstehen, und deshalb beging er üble Fehler, die ihm gering erschienen, die für die Juden jedoch enorme symbolische Bedeutung hatten. Trotzdem galt er unter den damaligen Juden nicht als schlimmer als seine Vorgänger oder Nachfolger im Amt, im Gegenteil: Die Lust an Brutalität ging ihm im Vergleich zu anderen völlig ab. Die meisten seiner Untaten entstanden aus Unkenntnis. Erst die christliche Geschichtsschreibung hat es geschafft, aus einem simplen römischen Ignoranten den Inbegriff des Despoten zu machen. Ich habe ihm seine Dummheit und seinen Dilettantismus wiedergegeben.
    Umgekehrt ist es mir mit Johannes dem Täufer ergangen. Er hatte bei mir einen Stein im Brett, bis ich seine polternden Tiraden gelesen habe. Die meisten seiner Worte im Roman entstammen Zitaten der Bibel.
    Ebenso wie Pilatus und Johannes habe ich mich so umstrittenen Figuren wie Tiberius und Agrippa genähert, und natürlich und vor allem auch meiner Heldin, Salome. Ich habe die Fakten sprechen lassen und habe diese psychologisch durchdacht und verknüpft. Zwar gibt es auf den ersten Blick keine historische Quelle, die einen Abdruck von Salomes Charakter liefert, doch wenn man genauer hinsieht …
    Man weiß zum Beispiel anhand zahlreicher Berichte sehr genau, welchen Charakter Philipp hatte, ihr Onkel und erster Gemahl. Er war liberal, weitsichtig, aufrichtig, wenn auch ein wenig spröde. Und ein solcher Mann soll eine blutrünstige Nymphomanin heiraten? Viele Jahre lang mit ihr verheiratet bleiben, obwohl er keine Kinder mit ihr hat und ein simpler Scheidungsbrief genügen würde, sich von ihr zu trennen? Und der Armenier Aristobul, ihr zweiter Mann? Auch er soll ein guter König gewesen sein, sagen die Quellen. Weshalb fiel auch er auf die vermeintlich verderbte Prinzessin herein, zumal sie ja nicht mehr die Jüngste und Schönste war und auch keine sagenhaften Reichtümer besaß? Drei Kinder gingen aus der Ehe der beiden hervor, und sie blieben verheiratet bis an ihr Lebensende. Verzeihung, aber das passt nicht zu einer dämonischen Gestalt.
    Die Vorgänge um den Tod Johannes des Täufers werden wohl für immer im Dunkel der Geschichte bleiben. Abgesehen davon, dass die Bibel, um es vorsichtig auszudrücken, dramatischen Ausgestaltungen nicht abgeneigt ist: viele Erklärungen sind denkbar, weshalb Salome die Hinrichtung des Täufers gefordert haben soll – wenn nicht meine romanhafte Variante, dann vielleicht eine politische … Denn sie lebte in einer Zeit des Umbruchs in Judäa, als Herodes und seine Nachfolger versuchten, die Gesetze dem Einfluss der alles beherrschenden Religion und deren erzkonservativen Predigern zu entziehen und das Denken der Juden weltlicher zu machen. Die herodianische Familie, mit Ausnahme von Antipas, war hierbei Vorreiter. Die emanzipierten Rollen von Salomes Großtante, von ihrer Mutter Herodias und anderen weiblichen Mitgliedern der herodianischen Familie weisen darauf hin, dass auch Salome höchstwahrscheinlich über weibliches Selbstbewusstsein verfügte, dass sie die Umbrüche in Judäa, speziell in ihrem Fürstentum, mitgestaltete und durchkämpfte und eben wegen dieser charakterlichen Eigenschaft von ihren politisch klugen und sanftmütigen Ehemännern geschätzt wurde – von anderen wie Johannes dem Täufer dagegen gehasst und verachtet, allen jenen, die die Zeit am liebsten angehalten hätten.
    So gesehen gleicht Salome weniger einer Medea, sondern eher einer anderen Frau der Antike, einer Königin, die nur wenige Jahre vor ihr lebte und über der ebenfalls der Schleier des Geheimnisses liegt: Kleopatra.

Personenregister
    Aufgelistet sind Personen, die im Roman eine Rolle spielen.
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