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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
Autoren: Eric Walz
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gesetzgeberische Kraft, die jüdischen Toparches wurden abgesetzt, nicht wenige Juden versklavt oder zwangsweise in entlegene Gebiete umgesiedelt. Adler und Standarten, Statuen und Bildnisse hielten Einzug und demütigten die Menschen. Die schlimmste aller Strafen jedoch hatte das Volk sich selbst zugefügt: Der Tempel mit dem Allerheiligsten, der Bundeslade, war unwiederbringlich zerstört, und mit ihm waren gleichsam die Seele und Kraft des Gelobten Landes in Flammen aufgegangen.
    Salome stand am Ufer des Salzmeeres nahe Masada und betrachtete nachdenklich eine Münze in ihren Händen: Eine klagende Frau kauert unter einer Palme, neben ihr steht ein Legionär in siegreicher Pose. Iudaea capta lautete die Aufschrift, Judäa unterworfen. Die Römer hatten es eilig mit der Prägung der Münzen, brachten sie überall in Umlauf, und mit Katapulten schossen sie regelmäßig kleine Mengen davon zur Festung hinauf, um die Moral der letzten Widerständler zu brechen.
    Masada war schon immer eine Schicksalsburg gewesen, auch für Salome. Hier war sie zur Welt gekommen und hatte ihren ersten Sieg errungen, weil sie ein Mädchen war und darum dem Wahnsinn des Großvaters Herodes entkam. Hier hatte sie aber auch ihren schlimmsten Fehler begangen, als sie vor Antipas tanzte und den Tod eines Mannes forderte, eines heiligen Mannes vielleicht. Und nun wurde in Masada das Schicksal ihres Volkes besiegelt. Die letzten Aufrührer samt Frauen und Kindern hielten sich in der fast uneinnehmbaren Bergfestung verschanzt.
    »Sie können dort oben gut ein Jahr überleben«, sagte Menahem und Aristobul nickte zustimmend.
    »Vielleicht zwei«, meinte Gilead.
    »Oder sogar drei«, überbot ihn Agrippinos.
    Salome seufzte leise und schüttelte den Kopf. »Entscheidend ist, dass sie es nicht überleben werden, es sei denn, sie geben auf. Von Zeloten ist das allerdings nicht zu erwarten. Und so werden sie also zum Symbol werden für gerechten Widerstand, für einen heroischen Kampf gegen böse Mächte, für die Unbeugsamkeit der Juden und ähnliches dummes Zeug, das nur dazu taugt, die gemeine, schmutzige, blutige Wahrheit zu bemänteln, die ihr alle kennt. Die Menschen neigen dazu, selbst das Hässliche zu einer schönen Legende zu machen, irgendwann womöglich sogar zu einem Festtag. Das traue ich einigen aus unserem Volk ohne weiteres zu. Masada bedeutet zwar jetzt das Ende der Gewalt, ja, aber es bedeutet auch den Anbeginn der künftigen.«
    Nach diesen Worten herrschte beklommenes Schweigen, das erst durch ein fernes Donnergrollen unterbrochen wurde. Die trockene Landschaft um das Salzmeer dürstete seit Jahren, weil die Wolken stets vorüberzogen, ohne sich zu entleeren.
    Aristobul beruhigte Salome mit einem langen, zuversichtlichen Blick. Er war es, der ihr in diesen Tagen Hoffnung gab und Kraft. Am Tag nach dem Fall Jerusalems war sie zu Timons Gedenkstein auf den »Berg des Ärgernisses« gegangen und hatte ihrem toten Geliebten von einst alle Gefühle erklärt. Eine ganze Stunde hatte sie zu ihm gesprochen und anschließend Aristobul geholt. Sie wäre sich wie eine Verräterin an Timon vorgekommen, an einem anderen Ort als jenem ihre Liebe zu einem anderen Mann einzugestehen, zu Aristobul. Er machte ihr sogleich einen Heiratsantrag. Das Leben ging weiter. Anderswo. Mit einem Mann, der sie nicht weniger liebte als Timon, und bei einem Volk, das sie als Königin anerkennen und schätzen würde.
    Aristobul legte den Arm um ihre Schultern und küsste sie. Die anderen taten so, als würden sie wegsehen, doch natürlich lugten sie alle nach dem Paar, das sich endlich gefunden hatte.
    »Es scheint so, dass ich bald ein richtiger Prinz werde«, sagte Gilead augenzwinkernd.
    Alle lachten. »Besser«, sagte Aristobul, »du wirst ein Held.«
    Gilead klopfte seiner Stute Andromeda auf die Mähne. »Ein reitender Held. Ein unglaublich schnell reitender Held. Und als solcher will ich in Armenien nicht andauernd umarmt werden. Also bringen wir’s hinter uns und machen es hier. Alle zusammen.«
    Das Gelächter war groß, und alle umarmten sich herzlich. Es war zugleich ein Abschied. Salome hatte Berenike und Menahem zwar gebeten, sie nach Armenien zu begleiten und dort zu leben, doch die beiden hatten abgelehnt. Sie wollten das Land und das Volk gerade jetzt nicht verlassen, wo die Not so groß war. Menahem fühlte sich zum Teil mitschuldig an der unseligen Entwicklung der letzten Jahrzehnte und wollte seine Fehler wieder gutmachen, indem er sich am
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