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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt
Autoren: Andreas Steiner
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nicht!“

Sie war von einer so seltenen Schönheit, daß sie, als sie die Schwelle betrat, in dem ganzen Zimmer einen ihr eigenthümlichen Schein zu verbreiten schien.
In diesem engen Raume, von vier Mauern eingeschlossen, war sie unendlich schöner und strahlender, als auf dem öffentlichen Platze.
Sie glich einer Fackel, die man vom hellen Tageslicht in den Schatten bringt.
    Victor HUGO, Notre Dame de Paris

    D rei Jahre waren vergangen. Anton war gestorben, doch war es ein spätes Glück, dass er die Hochzeit von Berthold und Leni noch hatte erleben dürfen. Er war bis zum Schluss bei klarem Verstand gewesen und eines Morgens einfach nicht mehr aufgewacht. Sein Gesicht war friedlich, so als freue er sich auf etwas.
    „Er ist schon bei Heidi“, hatte Leni gesagt, und Berthold war vielleicht der Einzige, der wusste, wie Recht sie hatte.
    Zwischen ihm und Leni herrschte nach wie vor eine Verbindung, wie er sie sich besser nicht vorstellen konnte. Hinzu war eine Vertrautheit gekommen, die ihm noch zuweilen unwirklich schien, wenn er hin und wieder darüber nachdachte. Der typische Gang, ihre anmutigen Handbewegungen, der so charakteristisch abgewinkelte Finger, wenn sie aus einem Glas trank, ihr schelmischer Blick, wenn sie ihn bei einer Gefühlsregung ertappte, die er zu verbergen suchte. Vormachen konnte man ihr ohnehin nichts, also ließ er es von vorneherein bleiben.
    Einmal war er mit Leni an Dankwarts Grab gewesen, auf einem kleinen Friedhof bei Sexten. Ja, es war traurig, diesen Namen auf dem Kreuz zu lesen, doch Berthold wusste, dort war er nicht.
    Wo nur war Dankwart?
    Berthold fühlte sich noch immer mit ihm verbunden, aber inzwischen fühlte er sich so stark und souverän wie nie zuvor in seinem Leben. Nie wieder hatte er Angst gehabt. Es war ihm, als habe er Dankwart nach und nach gehenlassen, frei, dort zu sein, wohin es ihn zog.
    Ob er wiederkäme wenn er ihn brauchte?
    Oder ob er fort war, ganz woanders, weil alles, was ist, irgendwann ein Ende hat, damit Neues beginnen kann?
    Wer weiß. Sein Bild hing jedenfalls noch immer über Bertholds Schreibtisch, und dort würde es bleiben.
    Inzwischen waren sie in eine geräumige Wohnung umgezogen. Bertholds zweiter Roman war ein beachtlicher Erfolg geworden, und es hatte ihn geradezu unruhig gemacht, dass er sich vorerst ums Geld keine Sorgen mehr machen musste. Sein Verlag löcherte ihn bereits, wann das nächste Werk zu erwarten sei.
    Von Robin hatte er die ganzen Jahre nichts mehr gehört, nur, dass er wegen paranoider Schizophrenie als nicht schuldfähig eingestuft worden war. Vor einigen Monaten war er, beunruhigend genug, als stabil entlassen worden.
    Er würde niemals in seinem Leben Arzt werden können.
    Gleichwohl konnte Berthold kein Bedauern empfinden. Er würde ihm das, was er Leni angetan hatte, nie verzeihen können. Kürzlich hatte er zu seiner Überraschung einen Brief von ihm erhalten, abgeschickt aus Kenia. Er war recht fahrig dahingekritzelt, mehrere Seiten lang. Robin arbeitete dort offenbar an einem Entwicklungshilfeprojekt mit, das er recht weitschweifig und hochherzig beschrieb, zusammen mit sehr anbiedernden, zerknirschten Entschuldigungsfloskeln an seinen „treuen Freund Berthold“, und dem immer wiederkehrenden Geschreibsel von einer Mission, die er für jemanden zu erfüllen habe, der dies nun nicht mehr tun könne.
    Leni hatte offenbar alles, was damit zusammenhing, hinter sich gelassen. Sie stellte ihre Bilder in der gleichen Galerie aus wie ihr Förderer Marek Grabianski, der ihr Schaffen nach wie vor wohlwollend begleitete. Erfüllt von all dem, was war und dem was ist, blickte sie nach vorne und freute sich daran.
    Heute Abend strahlte sie ihren Mann besonders bezaubernd aus ihren unwiderstehlichen grünen Augen an.
    Sie sagte etwas zu Berthold, über dessen Bedeutung er zunächst nur mit Verwirrung reagierte.
    „Ich bin schwanger heißt das!“ sagte sie, um es nun dem begriffsstutzigen Männerwesen, das ihr hier gegenübersaß, unmissverständlich klarzumachen.
    Jetzt begriff Berthold. Stürmisch nahm er Leni in die Arme.
    „Du freust dich?“
    Sie wirkte jetzt scheu, als sei sie noch immer unsicher.
    „Freude ist gar kein Ausdruck!“ rief Berthold und küsste sie.
    Sie strahlte ihn an. Ihr Blick ging in die Ferne, so wie es bei ihr manchmal war, wenn sie in eine andere Welt blickte.
    „Es wird ein Junge“, sagte sie.
    „Das weißt du sicher?“
    „Ja.“
    „Dann können wir uns ja einen Namen überlegen!“ sagte
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