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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition)
Autoren: Hubert Wiest
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Ordnung, geben wir ihm 60 Sekunden.“
    Wie ein Showmaster tänzelte er über die Bühne und hielt Luan das Mikrofon vor den Mund. „Sprich!“, lächelte er mit seinem faltenlosen Gesicht. „Deine Zeit läuft.“
    Luan schluckte. Er hatte nur 60 Sekunden. Wo sollte er anfangen?
    „Wir haben etwas viel Besseres mitgebracht als Garmal“, wiederholte Luan. Er stotterte. Er wusste nicht, wie er alles in eine Minute packen sollte.
    „40 Sekunden“, sagte Makelo tonlos.
    Luans Mund bebte lautlos. Er hatte keine Kontrolle mehr über seine Lippen. Warum musste er alles verderben?
    In diesem Moment zog sich Sansibar auf die Bühne hinauf. Ihr Gesicht war wachsweiß, als wäre sie selbst eine Garmal-Sammlerin.

45 MAMA
    Sansibar durfte nicht darüber nachdenken, was sie gerade tat, sonst wäre sie zusammengeklappt wie ein Regenschirm im Sturm. Sie konnte es nicht fassen. Dort stand Mama. Sie wollte Mama umarmen. Mama runzelte ihre Stirn. Jetzt sah Mama sie so komisch an. Erinnerte sich Mama wieder? Bestimmt! „Ich bin es“, murmelte Sansibar und taumelte auf ihre Mutter zu.
    „30 Sekunden sind vorüber“, hämmerte Makelos Stimme durch Sansibars Kopf.
    „Nein!“, schrie Sansibar. Ohne einen Gedanken an ihre Puddingknie zu verschwenden, sprang sie auf Makelo zu und riss ihm das Mikrofon aus der Hand.
    „Wir haben euch kein Garmal mitgebracht, sondern eine gute Nachricht“, rief Sansibar mit überschnappender Stimme. „Wir haben RUHL zerstört. RUHL ist tot.“
    Mit diesem Satz erstarb jedes Wort in der Menge. Atemlose Stille breitete sich aus. Und dann begannen die Garmal-Sammler wie ein verspätetes Echo zu wiederholen: „RUHL ist tot. RUHL ist tot. RUHL ist tot.“ Wie ein Teppich webten sich die Worte durch die Halle, immer dichter. Keiner konnte sich ihnen entziehen.
    „Aber das kann doch nicht sein. Wieso ist RUHL zerstört?“, fragte Makelo ungläubig.
    „RUHL ist tot“, wiederholten die Garmal-Sammler. Die ersten klatschten Beifall. Es wurden immer mehr.
    Sansibar räusperte sich ins Mikrofon. Dann fuhr sie fort: „Früher einmal wart ihr Rebellen. Ihr habt RUHL bekämpft. Ihr wart die einzigen, die RUHL widerstanden haben. Garmal hat eure Gedanken vor RUHL verschlossen. Aber leider auch eure Gefühle und Herzen. Nichts ist euch mehr wichtig. Schaut euren Nachbarn in die Augen! Kennt ihr ihre Namen? Was essen sie am liebsten? Wann haben sie Geburtstag?“
    Die Garmal-Sammler sahen sich um. Die ersten begannen, ihre Köpfe zu schütteln.
    Sansibars Stimme klang jetzt glockenklar. „Ihr habt jedes Interesse an anderen Menschen verloren. Eure Gedanken drehen sich nur noch um Garmal. Hört auf, diese Droge zu nehmen! Ihr braucht kein Garmal mehr. RUHL gibt es nicht mehr.“
    „RUHL ist tot“, murmelten die Stimmen jetzt aufgeregt durcheinander.
    „Garmal hat euer Herz ausgelöscht, eure Gefühle wegradiert. Erkennt ihr noch eure eigenen Kinder?“
    Sansibar blickte zu ihrer Mutter. Mama sah sie mit großen Augen an. Mamas Mundwinkel zuckten. Ein Hauch Orange mischte sich in den silbernen Panzer. Ihre grauen Haare verrieten den Kummer der vergangenen Jahre. Sansibar lächelte ihre Mutter unsicher an.
    Jetzt hatten sich auch Herr Arbani, Kalawesi, Doktor Tornham und die Schattensurfer nach vorne gekämpft. Sie kletterten auf die Bühne. Zu viert zogen sie Kalawesi hoch.
    Doch das nahm Sansibar nicht mehr wahr. Sie schluchzte ins Mikrofon, dass der ganz Saal davon erfüllt war: „MAMA!“
    Dann rannte sie auf ihre Mutter zu und umarmte sie ganz fest. Mama fühlte sich kalt an. Sie schien mit der Umarmung nichts anfangen zu können. Sie hob ihre Arme, als wäre Sansibar nur ein fremdes aufdringliches Kind. Sie versuchte sich aus der Umarmung zu lösen. Aber Sansibar ließ nicht locker. Wie eine Boa Constrictor umschlang sie ihre Mutter, bei jedem Atemzug ein wenig fester. Sansibars Tränen tropften auf den Panzer. Stück für Stück verwandelten sie das abweisende Silber in Mamas orangefarbene T-Shirt mit der lila Orchidee. Und plötzlich fühlte sich Mama nicht mehr kalt an. Mama schlang ihre Arme um Sansibar und schluchzte: „Meine kleine große Sansibar.“
    „Lucilia, das darfst du nicht zulassen. Du musst Garmal einnehmen. Sofort. Hier, eine Notration für dich“, rief Makelo und fuchtelte mit den Armen. Seine Stimme überschlug sich wie ein Sportwagen in der Kurve. Er öffnete eine kleine Schachtel und holte eine silberne Garmal-Pille heraus. „Reines Garmal“, lächelte er und schien
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