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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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wusste, dass sie ein Mensch war, auf den man sich in Zeiten der Not verlassen konnte, aber dieses schwülstige Dahergerede fiel mir auf die Nerven. Einigermaßen gereizt befahl ich Owen, er solle sich seinen verdammten Edelmut an den Hut stecken.
    Ich ging die High Street entlang und fand die Gerüchteküche am Brodeln. Emily Barton sagte, sie habe Aimée Griffith nie so recht über den Weg getraut. Die Frau des Gemischtwarenhändlers erklärte im Brustton der Überzeugung, für sie habe Miss Griffith ja schon immer so ein Flackern im Blick gehabt…
    Die Beweise gegen Aimée waren jetzt vollständig, erfuhr ich von Nash. Eine Haussuchung hatte die aus Emily Bartons Buch herausgeschnittenen Seiten zutage gefördert – ausgerechnet in dem Schrank unter der Treppe, eingerollt in ein Stück alter Tapete.
    «Ausgezeichnetes Versteck», sagte Nash anerkennend. «Bei einem Schreibtisch oder einer abgesperrten Schublade kann man nie sicher sein, dass nicht doch ein neugieriger Dienstbote drangeht – aber diese Dielenschränke, die voll gestopft sind mit alten Tapeten und den Tennisbällen vom letzten Jahr, macht nur jemand auf, der noch mehr Gerümpel nachschieben will.»
    «Die Dame scheint eine Vorliebe für diesen Platz zu haben», bemerkte ich.
    «Ja. Ein Verbrecherhirn folgt gern erprobten Mustern. Übrigens, was das tote Mädchen betrifft, haben wir jetzt auch einen Anhaltspunkt. Aus der Apotheke des Doktors fehlt ein großer, schwerer Stößel. Ich gehe jede Wette ein, dass sie damit betäubt worden ist.»
    «Ein bisschen sperrig zum Spazierentragen», wandte ich ein.
    «Nicht für Miss Griffith. Sie war an dem Nachmittag zu den Pfadfindern unterwegs, aber sie hat auf dem Weg dorthin Blumen und Gemüse zum Rot-Kreuz-Stand gebracht, deshalb hatte sie einen riesigen Korb dabei.»
    «Den Bratenspieß haben Sie aber nicht gefunden?»
    «Nein, und das werde ich auch nicht. Die Arme mag verrückt sein, aber nicht so verrückt, dass sie einen blutverschmierten Bratenspieß aufhebt, nur um uns die Arbeit zu erleichtern, wenn sie ihn lediglich abzuwaschen und in die Küchenschublade zurückzulegen braucht.»
    «Ja», räumte ich ein, «man kann wohl nicht alles haben.»
    In der Pfarrei hatte man die Nachricht eben erst erfahren. Die alte Miss Marple war zutiefst erschüttert, wie sie mir mit großer Eindringlichkeit darlegte.
    «Es ist nicht wahr, Mr Burton. Es kann einfach nicht wahr sein.»
    «Es ist leider nur zu wahr. Sie haben ihr aufgelauert, wissen Sie. Sie haben gesehen, wie sie den Brief geschrieben hat.»
    «Ja, ja – das ist möglich. Doch, das kann stimmen.»
    «Und die Buchseiten, aus denen die Briefe ausgeschnitten worden sind, waren bei ihr im Haus versteckt.»
    Miss Marple starrte mich an. Dann sagte sie sehr leise: «Aber das ist furchtbar – das ist niederträchtig.»
    Mrs Dane Calthrop kam im Sturmschritt herbei, stellte sich zu uns und fragte: «Was ist, Jane?»
    Miss Marple murmelte hilflos: «Ach Gott, ach Gott, was kann man bloß tun?»
    «Was ist denn passiert, Jane?»
    Miss Marple sagte: «Es muss etwas geben. Aber ich bin so alt und weiß so wenig, und mein Verstand ist so schwach.»
    Es war mir recht peinlich, und ich war erleichtert, als Mrs Dane Calthrop ihre Freundin mit sich wegzog.
    Noch am selben Nachmittag aber traf ich Miss Marple wieder. Viel später, als ich schon auf dem Heimweg war.
    Sie stand an der kleinen Brücke am Dorfausgang, nicht weit von Mrs Cleats Häuschen, und unterhielt sich ausgerechnet mit Megan.
    Ich wollte Megan sprechen. Ich hatte sie schon den ganzen Tag sprechen wollen. Ich beschleunigte meinen Schritt. Aber als ich die beiden erreichte, machte Megan auf dem Absatz kehrt und lief davon.
    Das ärgerte mich, und ich wäre ihr gefolgt, doch Miss Marple vertrat mir den Weg.
    «Ich muss mit Ihnen reden», sagte sie. «Nein, laufen Sie Megan jetzt nicht nach. Es wäre nicht klug.»
    Ich setzte schon zu einer scharfen Erwiderung an, da nahm sie mir den Wind aus den Segeln, indem sie sagte: «Das Mädchen hat Mut – eine ganz außergewöhnliche Art von Mut.»
    Ich wollte Megan immer noch folgen, aber Miss Marple sagte: «Versuchen Sie nicht, mit ihr zu sprechen. Ich weiß, was ich sage. Sie muss jetzt ihren Mut bewahren.»
    Etwas an der Bestimmtheit der alten Dame schüchterte mich ein. Es war, als wisse sie etwas, das ich nicht wusste.
    Ich hatte Angst und wusste nicht, warum.
    Ich ging nicht nach Hause. Ich kehrte wieder um und strich ziellos in der High Street auf und
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