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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske
Autoren: Minette Walters
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könnte ich nie.«
    »Nein«, stimmte Sarah zu, während sie sich die Hände rieb, um sie zu wärmen. »Sie meinen also, das Kind hat sich schon gesenkt?«
    »Hm, jetzt wird's nicht mehr lang dauern.« Doch so leicht war Mrs. Graham nicht abzulenken. Sie hatte genug von dem Telefongespräch mitbekommen, um neugierig zu werden. »Ist es wahr, dass sie einen Käfig auf dem Kopf hatte? Jenny Spede kriegt sich gar nicht mehr ein deswegen. Einen Käfig mit Dornenzweigen und Rosen, hat sie gesagt. Sie redet nur noch von Mrs. Gillespies Dornenkrone.«
    Sarah fand nichts dabei, ihr reinen Wein einzuschenken. Die meisten Details waren sowieso schon bekannt, und die Wahrheit war wahrscheinlich weniger sch ädlich als die Horrorgeschichten, die von Mathildas Putzfrau verbreitet wurden. »Es war ein altes Familienstück, eine Schandmaske, wie sie früher gebraucht wurde, um geschwätzigen Frauen den Mund zu stopfen.« Sie legte ihre Hände auf den Leib der Frau und tastete nach dem Kopf des Kindes. »Und es steckten keine Dornenzweige und Rosen darin, überhaupt nichts mit Dornen. Nur ein paar Wildblumen.« Von den Brennnesseln sagte sie absichtlich nichts. Die, dachte sie, sind wirklich beunruhigend. »Es war mehr erbarmungswürdig als beängstigend.« Ihre tastenden Finger entspannten sich. »Sie haben recht. Es wird nicht mehr lang dauern. Sie müssen Ihre Daten durcheinandergebracht haben.«
    »Das passiert mir jedes Mal, Doktor«, sagte die Frau unerschüttert. »Ich kann Ihnen auf die Minute sagen, wann eine Kuh soweit ist, aber wenn's um mich selbst geht« - sie lachte -, »ich hab' nicht die Zeit, es mir in den Kalender einzutragen.« Sarah griff ihr unter die Arme, um ihr beim Aufsetzen zu helfen. »So, so, ein Ding, um Frauen den Mund zu stopfen, hm?«
    Sarah nickte. »Sie waren bis vor zwei oder drei Jahrhunderten in Gebrauch, und sie wurden nicht nur zänkischen Weibern übergestülpt. Jede Frau konnte so ein Ding verpasst bekommen. Jede Frau, die die männliche Autorität herausforderte, ob im Haus oder in der Öffentlichkeit.«
    »Und was glauben Sie, warum sie's getan hat?« »Ich weiß es nicht. Vielleicht hatte sie das Leben satt.« Sarah lächelte. »Sie hatte nicht Ihre Energie, Mrs. Graham.“
    »Oh, dass sie sich das Leben genommen hat, das kann ich verstehen. Ich hab's immer sinnlos gefunden, um das Leben zu kämpfen, wenn es den Kampf nicht wert ist.« Sie knöpfte ihre Bluse zu. »Ich meine, warum hat sie sich diese Schandmaske auf den Kopf gesetzt?«
    Sarah sch üttelte den Kopf. »Das weiß ich auch nicht.« »Sie war eine bösartige alte Frau«, sagte Mrs. Graham unumwunden. »Sie hat praktisch ihr ganzes Leben hier verbracht, sie kannte mich und meine Eltern ihr Leben lang, aber sie hat keinen von uns auch nur einmal gegrüßt. Wir waren zu gewöhnlich. Pachtbauern mit Kuhmist an den Schuhen. Mit dem alten Wittingham, diesem faulen Kerl, dem der Hof meines Vaters gehört, mit dem hat sie gesprochen. Der hat seit dem Tag seiner Geburt nie einen Finger gerührt, sondern lebt einzig von seinen Pachtzinsen und Geldanlagen, und deshalb war er akzeptabel. Aber die Arbeiter, einfache Leute wie wir« - sie schüttelte den Kopf -, »die wurden mit Verachtung gestraft.« Sie lachte über Sarahs Gesicht. »Jetzt sind Sie schockiert, was? Aber ich nehm nun mal kein Blatt vor den Mund. Sie sollten sich Mrs. Gillespies Tod nicht so zu Herzen nehmen. Kein Mensch hat sie gemocht, und das hatte sie sich ganz allein selbst zuzuschreiben, glauben Sie mir. Wir sind bestimmt keine unfreundlichen Menschen hier, aber irgendwo hört's einfach auf, und wenn eine Frau sich den Mantel abwischt, weil man aus Versehen mit ihr zusammengestoßen ist - also, dann reicht's wirklich.« Sie schwang ihre Beine zum Boden und stand auf.
    »Ich bin nicht besonders fromm, aber es gibt ein paar Dinge, an die ich glaube, und dazu gehört die Reue. Ob es nun an Gott liegt oder einfach am Alter, meiner Meinung nach kommt bei jedem von uns am Ende die Reue. Wenige sterben, ohne ihre Fehler einzusehen, darum ist der Tod ja so friedvoll. Und es spielt im Grund auch keine Rolle, wen man um Verzeihung bittet - einen Priester, Gott oder die Angehörigen -, man hat es getan und man fühlt sich besser.« Sie schob ihre Füße in ihre Schuhe. »Ich würde sagen, Mrs. Gillespie wollte nur für ihre böse Zunge um Verzeihung bitten. Drum hat sie sich die Schandmaske aufgesetzt.«
    Mathilda Gillespie wurde drei Tage sp äter auf dem Dorffriedhof von
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