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Die Schandmaske

Die Schandmaske

Titel: Die Schandmaske
Autoren: Minette Walters
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Fontwell an der Seite ihres Vaters, Sir William Cavendish, MP, begraben. Die Leichenschau war noch nicht abgehalten worden, aber dass mit einem Spruch auf Selbstmord zu rechnen war, war mittlerweile allgemein bekannt, wenn nicht dank Polly Graham, so dank simpler Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass die Polizei die Siegel an der Haustür entfernte und alle Beamten abgezogen wurden.
    Die Trauergemeinde war klein. Polly Graham hatte nicht gelogen, als sie gesagt hatte, dass niemand Mathilda Gillespie gemocht hatte. Nur wenige nahmen sich die Zeit und die Mühe, von einer alten Frau Abschied zu nehmen, die einzig f ür ihre Unfreundlichkeit bekannt gewesen war. Der Pfarrer tat unter diesen schwierigen Umständen sein Bestes, dennoch war allgemeine Erleichterung spürbar, als die Trauergäste sich vom offenen Grab ab wandten, um zu gehen.
    Jack Blakeney, widerwilliger Begleiter seiner Frau, die es f ür ihre Pflicht gehalten hatte zu erscheinen, murmelte Sarah ins Ohr: »Lauter Pharisäer, die brav ihre Spießerpflicht tun. Hast du die Gesichter gesehen, als der Pfarrer von unserer allgemein beliebten Freundin und Nachbarin sprach? Sie haben sie alle gehasst wie die Pest.«
    Sie hob warnend die Hand. »Nicht so laut. Man kann dich hören.«
    »Na und?« Sie gingen am Ende des kleinen Zugs, und sein Blick, der geschulte Blick des Malers, flog über die gesenkten Köpfe der Leute vor ihnen. »Die Blonde ist vermutlich die Tochter, Joanna.«
    Sarah h örte den bemühten Ton beiläufigen Interesses und lächelte sarkastisch. »Vermutlich«, stimmte sie zu, »und die Jüngere ist vermutlich die Enkelin.«
    Joanna stand jetzt neben dem Pfarrer. Die weichen grauen Augen wirkten übergroß in dem feingeschnittenen Gesicht, und ihr Haar schimmerte golden im Sommerlicht. Eine schöne Frau, dachte Sarah und schaffte es wie immer, in ihrer Bewunderung völlig unpersönlich zu bleiben. Selten richtete sie ihren Groll auf die Objekte der schwach verhohlenen Begierde ihres Mannes, denn sie sah sie als eben das: Objekte. Wollust war in Jacks Leben wie alles außer seiner Malerei etwas Flüchtiges. Eine Flamme, die so schnell wieder erlosch, wie sie hochgeschossen war. Die Zeiten, als sie noch zuversichtlich geglaubt hatte, dass er, bei all seiner Empfänglichkeit für weibliche Reize, niemals ihre Ehe aufs Spiel setzen würde, waren lang vorbei, und sie hatte kaum noch Illusionen über ihre eigene Rolle. Sie sorgte für den Wohlstand, der es Jack Blakeney, dem aufstrebenden Maler, erlaubte, ein angenehmes Leben zu führen und seinen sehr prosaischen Leidenschaften zu frönen, aber, wie Polly Graham gesagt hatte - irgendwo hört 's einfach auf.
    Sie gaben dem Pfarrer die Hand. »Es war freundlich von Ihnen beiden zu kommen. Kennen Sie Mathildas Tochter?« Reverend Matthews wandte sich der blonden Frau zu. »Joanna Lascelles, Dr. Sarah Blakeney und Jack Blakeney. Sarah war die Hausärztin Ihrer Mutter, Joanna. Sie ist letztes Jahr in die Praxis eingetreten, als Dr. Hendry in den Ruhestand ging. Sie und Jack wohnen in Long Upton in The MM Geoffrey Freelings altem Haus.«
    Joanna begr üßte sie und wandte sich an das junge Mädchen, das neben ihr stand. »Das ist meine Tochter Ruth. Wir sind Ihnen beide sehr dankbar für alles, was Sie für meine Mutter getan haben, Dr. Blakeney.«
    Das M ädchen war ungefähr siebzehn oder achtzehn, so dunkel wie ihre Mutter blond war, und sie sah alles andere als dankbar aus. Sarah hatte nur einen Eindruck von heftigem und bitterem Schmerz. »Wissen Sie, warum meine Großmutter sich das Leben genommen hat?« fragte sie leise. »Niemand sonst scheint es zu wissen.« Ihr Gesicht war finster.
    »Ruth, bitte«, sagte ihre Mutter seufzend. »Ist denn nicht alles schon schwierig genug?« Das Thema schien nicht neu zu sein.
    Nach dem Alter der Tochter zu urteilen, muss te sich Joanna den Vierzigern nähern, dachte Sarah, aber in ihrem schwarzen Mantel sah sie nur sehr jung und sehr verletzlich aus. Sarah merkte, wie Jacks Interesse aufflammte, und verspürte einen zornigen Impuls, hier, vor allen Leuten, auf ihn loszugehen und ihn abzukanzeln. Was glaubte er denn, wie weit ihre Geduld reichte? Wie lange, bildete er sich ein, würde sie seine gleichgültige Missachtung ihres gequälten Stolzes noch hinnehmen? Sie unterdrückte den Impuls natürlich. Sie war zu sehr Gefangene ihrer Erziehung und der Verhaltensnormen ihres Berufs, um etwas anderes zu tun. Aber bei Gott, eines Tages - sagte sie sich. Stattdessen
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