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Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

Titel: Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)
Autoren: Sophie Seeberg
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»Leonce«. Es sind beides schöne und wohlklingende Namen – wenn es auch in meinen Ohren klang, als würden »Leonce« und »Wischnewsky« in unterschiedliche Universen gehören. Warum man aber gerade Zwillinge, die man wahrscheinlich häufig in einem Satz nennt, ausgerechnet Leonce und Lena nennen muss, gehört für mich in die Kategorie »Kann man machen, muss man aber nicht«. Auch wenn man kein leidenschaftlicher Theaterbesucher ist, hat man wahrscheinlich schon einmal von Georg Büchners Stück
Leonce und Lena
gehört. Es ist ja auch eine beliebte Schullektüre. Na ja, die beiden sind nicht so bekannt wie
Romeo und Julia
, aber irgendwie hatte es für mich einen ähnlichen Klang.
    Ich erinnere mich auch nach vielen Jahren noch an diese beiden Namen. Wahrscheinlich unter anderem deshalb, weil Herr Wischnewsky nun schon zum sicherlich zwanzigsten Mal im immer gleich freundlich-erwartungsvollen Tonfall »Leonce …? Lena …?« in das vermeintlich leere Kinderzimmer fragte.
    Nicht ein einziges Mal sagte er »Lena …? Leonce …?«.
     
    Wird Herr Wischnewsky nun die nächsten drei Stunden »Leonce …? Lena …?« fragen? Und falls ja, werde ich es schaffen, mir das so lange anzuhören, ohne verrückt zu werden?
    Tatsächlich sind die Interaktionsbeobachtungen in ihrer Funktion als reine Beobachtung für mich oft anstrengender als die Explorationsgespräche oder Gerichtstermine.
    Da es mir darum geht, einen möglichst unverfälschten Eindruck vom Umgang zwischen Eltern und Kindern zu bekommen, beschränke ich mich bei diesen Terminen tatsächlich auf das reine Beobachten. Neben dem Problem, dass ich bei besonders unsensiblen und unter Umständen überforderten Eltern dem Drang widerstehen muss, einzugreifen, ist es tatsächlich manchmal schlicht und ergreifend langweilig oder auch nervtötend, Eltern einige Stunden in der Interaktion mit ihren Kindern zu beobachten.
    Im Falle von Herrn Wischnewsky auch mal beides.
     
    »Leonce …? Lena …?«
    Ich überlegte, wie lange ich noch warten sollte, bevor ich diese Interaktionsbeobachtung ohne Interaktion beenden musste.
    »Leonce …? Le…«
    Ein ohrenbetäubender Schrei ertönte, und etwas großes Graues flog durch die Luft. Gleichzeitig ging Herr Wischnewsky mit einem schon beinahe comicmäßigen RUMS zu Boden. Noch ein Schrei ertönte, und ein Eisbär stürzte sich auf den am Boden liegenden Mann.
    Weitere Schreie und Grunzlaute begleiteten das hin und her rollende Knäuel aus Mann, Eisbär und … Esel?
    Schließlich gingen die Kampfgeräusche in Gekicher über, und ich konnte erkennen, dass der Eisbär blonde lange Locken und der Esel eine Harry-Potter-Brille samt passender Frisur hatte.
    » DAS WAR LUUUUSTIIIIG !«, quietschte der Esel, der vermutlich nicht Harry, sondern Leonce hieß.
    Lena kicherte inzwischen atemlos und schaute ein bisschen unsicher zu mir hinüber.
    Die beiden trugen trotz des warmen Wetters ein Eisbär- und ein Eselkostüm mit langen Ärmeln und Kapuzen samt entsprechenden Ohren daran. Sie hatten rote Wangen und waren außer Atem.
    Ich lächelte Lena an, und schon begann ihr Gekicher von neuem.
    Herr Wischnewsky richtete sich auf und hielt sich ein Taschentuch an die Nase.
    » OOOOOH , DER PAPA HAT WIEDER NAAASENBLUUUUUUUT …!«
    Während Leonce und Lena weiter vor sich hin kicherten, rappelte sich ihr Vater auf und presste das Taschentuch an seine Nase.
    »Leonce, Lena, so benimmt man sich aber nicht. Da ist der Papa jetzt aber sehr enttäuscht von euch. So geht das aber wirklich nicht.«
    Jeder Kommunikationstrainer hätte bei dieser Szene wahrscheinlich Tränen in den Augen gehabt. Deutlicher war eine Diskrepanz zwischen Stimmlage und Inhalt sicher nur sehr selten zu beobachten. Hätte Herr Wischnewsky in einer mir unbekannten Sprache gesprochen, wäre ich mir absolut sicher gewesen, dass er gesagt hatte: »Leonce, Lena, so etwas Entzückendes habe ich ja noch nie erlebt. Ich bin so stolz auf euch. Das war eine perfekte Begrüßung.«
    Entsprechend reagierten seine Kinder. Nämlich gar nicht.
    Sie begannen sich zu balgen, kletterten auf das Stockbett, sprangen herunter, schubsten sich auf dem Weg zum erneuten Springen und sausten unermüdlich von einer Ecke des Zimmers in die andere. Kein Wunder, denn sie hatten es wirklich eine lange Zeit in ihren Verstecken ausgehalten.
     
    Herr Wischnewsky stand bei mir im Türrahmen, sagte hin und wieder »Leonce … Lena …« und erzählte mir, dass die Kinder eben viel Bewegung
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