Die Schakkeline ist voll hochbegabt, ey: Aus dem Leben einer Familienpsychologin (German Edition)

der »schwachsinnigen Empfehlung der Sachverständigen« folgen würde, und man wüsste ja, was passiere, wenn »der Politik ihre Stimmen flöten gehen«, denn dann würden ganz schnell »Köpfe rollen«, und er würde dabei zusehen und lachen!
     
    Der Richter hörte ihm erstaunlich ruhig zu, wartete, bis Herr Eckart mehrere Minuten monologisiert hatte, und stellte ihm dann in einer kurzen Atempause in Aussicht, dass man sich bald wieder hier in diesem Saal wiedersehen würde, wenn er so weitermachte. Außerdem würde er dem Vorschlag des Anwalts und somit meiner Einschätzung folgen. In allen Punkten.
    Herr Eckart öffnete den Mund. Dann schloss er ihn und setzte sich.
    Und stimmte dann zu.
     
    Nach der Verhandlung stürmte Frau Lorenz sofort auf mich zu, griff mit beiden Händen nach meiner rechten, schüttelte sie und wollte gar nicht mehr loslassen. »Danke, Frau Seeberg. Ich bin so froh, dass Johannes jetzt nicht mehr mit seinem Vater alleine sein muss! Danke. Danke. Danke!«
    Frau Lorenz’ Dankbarkeit und die Tatsache, dass Herr Eckart mit all seinen Drohungen eben doch nicht erreicht hatte, was er wollte, taten mir gut. Ich fühlte mich gleichzeitig erschöpft, aber eben auch gestärkt.
    Ich erhaschte einen Blick von Herrn Kuben, der mich mit dieser für ihn typischen Mischung aus Warmherzigkeit und trockenem Humor ansah. Und ich wusste sofort, dass er mein Gutachten nicht nur verstanden, sondern auch noch goldrichtig interpretiert hatte. Zusammen mit dem zwanzigseitigen Pamphlet von Herrn Eckart hatte es ihm ein klares Bild von dessen Persönlichkeitsstruktur vermittelt, und er hatte ganz offensichtlich darauf hingearbeitet, dass der Mann seine Fassung verlieren würde. Darum hatte Herr Kuben während der Ausführungen von Herrn Eckart diesem die ganze Zeit das Gefühl vermittelt, dass es gut für ihn laufen würde. Deshalb hatte er geschwiegen. Damit er dann im richtigen Moment so unvermittelt wie möglich vorstoßen konnte und so den Mann zu einem möglichst großen Ausbruch verleiten würde. Es war ein gewagtes Spiel gewesen, aber es war ihm gelungen. Und wie.
     
    Herr Kuben bat mich nach der Verhandlung auf einen Kaffee in die Gerichtskantine, um mit mir über einen neuen Fall zu sprechen. Dies natürlich nicht ohne seine üblichen Scherze. Und als ich ihm so gegenübersaß, spürte ich, dass er mir sehr fehlen würde, wenn ich keine Sachverständige mehr wäre. Sicher würden mir auch meine Kolleginnen fehlen. Und Frau Ehring vom Jugendamt …
     
    Die Arbeit als Sachverständige ist wirklich äußerst anstrengend und belastend. Aber wenn ich das den positiven Aspekten gegenüberstelle, dann ist mir klar, dass ich diesen Beruf weiter ausüben möchte. Denn neben all den schwierigen Momenten ist da auch die Freude über eine gelungene Einigung. Da gibt es diese intensiven Momente, wenn sich jemand wirklich öffnet und daraus neue Möglichkeiten entstehen, mit denen man zu Anfang nicht gerechnet hatte. Das Vergnügen, mit kompetenten und engagierten Fachleuten zusammenzuarbeiten. Und vor allem das gute Gefühl, die Situation eines Kindes so verbessern zu können, dass es entgegen allen Anzeichen nun eben doch eine Chance auf eine glücklichere Kindheit und eine bessere Zukunft hat.

Über Sophie Seeberg
    Sophie Seeberg ist Diplom-Psychologin und arbeitet seit fast zwanzig Jahren als Sachverständige für Familiengerichte. Ihre Aufgabe ist es, Gutachten für das Gericht zu erstellen, regelmäßig arbeitet sie dabei auch eng mit dem Jugendamt zusammen. Von ihren skurrilsten und außergewöhnlichsten Fällen berichtet sie in diesem Buch.

Über dieses Buch
    Sophie Seeberg kriegt es hautnah mit, das Leben. Die Psychologin kommt immer dann, wenn Familien vor dem Abgrund stehen, denn sie erstellt Gutachten für das Gericht. Ein harter Job? Sicherlich – aber auch ein lustiger. Etwa wenn die notorische Schulversager-Mama, die selbst keinen Abschluss hat, der Überzeugung ist, dass die kleine Schakkeline total hochbegabt sei. Oder wenn die Messie-Frau glaubt, diese doofe Psychologin würde bei der Wohnungsinspizierung die Müllhalde im Keller übersehen.

Impressum
    eBook-Ausgabe 2013
    Knaur eBook
    © 2013 Knaur Taschenbuch
    Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
    Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München
    Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
    Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
    Coverabbildung: FinePic®,