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Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Titel: Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
Autoren: Alina Bronsky
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Absätzen aus und ging barfuß über die Wiese. Auch die Wiese gehörte John. Er war ein echter englischer Gentleman.
    Das Gras streichelte meine Fußsohlen. Hinter denBäumen entdeckte ich ein Gewächshaus, das Glas matt vor Blütenstaub, ich fuhr mit dem Finger darüber. Hier war ich noch nie gewesen. Wahrscheinlich hatte Johns Frau hier Tomaten gezogen.
    »Ich kann gut mit Tomaten umgehen«, teilte ich John nachmittags beim Tee mit. Da saßen wir auf der Terrasse vor unseren Tassen und einer Dose mit Ingwergebäck. »Ich habe einen grünen Daumen«, sagte ich.
    Und John antwortete: »Pflegen Sie ihn bis zum nächsten Sommer.«
    Wir gingen einkaufen, in Läden, die ich noch nie betreten hatte. Die Verkäuferinnen brachten mir Kleider und Spitzenunterwäsche, John trank Espresso auf einer gepolsterten Bank in der Ecke und hob nur gelegentlich die Augenbraue, wenn ich die Kabine verließ und vor einem Spiegel auf und ab lief, um zu prüfen, ob die Kleider gut saßen.
    Johns Gesicht war undurchdringlich, und ich fragte ihn nicht nach seiner Meinung. Ich wusste, dass ich gut aussah, ich wusste, dass ich eine schöne Figur hatte, ich hatte zudem einen fabelhaften Geschmack – ich verließ die Kabine nur in Sachen, die die Zartheit und sanfte Geschwungenheit meines Körpers betonten. Hier und da verloren die Muskeln und die Haut ihre Straffheit, das sah ich im gnadenlosen Licht der Kabine. Aber ich wusste, dass ich das schnell in den Griff kriegen würde. Mir kam zugute, dass ich gerade sehr schlank war, mein sonst so guter Appetit hatte mich in der letzten Zeit verlassen, und ich ernährte mich hauptsächlich von Tee mit Milch und Ingwerkeksen.
    Ich dankte nicht, als John mit seiner Kreditkartebezahlte und die Tüten zum Auto trug. Ich wusste, ich hatte das alles verdient. Zu Hause zog ich mich um, und wir guckten wieder Aminat. Sie sah ebenfalls besser aus, das ständige Zittern hatte sich gelegt, die Panik wich aus ihren Augen, die Haare waren gewaschen und fielen derart natürlich auf die Schultern, dass mir sofort klar wurde, wie viel Arbeit darin steckte. Sie war jetzt eins von zwanzig Mädchen und wurde von drei Choreografen gleichzeitig angeschrien, zwischendrin wurden immer wieder Szenen eingeblendet, in denen die Mädchen einzeln sangen, und ich dachte: Meine ist trotzdem die Schönste.
    Und John sagte sehr selten: »Was für eine furchtbare Sendung.«
    Und noch seltener: »Mein Gott. Was für eine Stimme.«
    Ich fand nicht, dass Aminat schön sang. Ich hatte sie oft gehört, es hatte mir noch nie gefallen. Es war nicht kraftvoll, nicht melodisch. Aber es stimmte schon, es drehte einem das Herz in der Brust um. Das musste ich mir eingestehen. Wahrscheinlich hatten sie Aminat deswegen ausgewählt. Die Leute mochten es, wenn jemand ihnen das Herz in der Brust umdrehte. Das konnte ich nicht verstehen.

    Ich zog einen Hosenanzug aus Seide an, neue brokatfarbene Schuhe, steckte mir das Haar hoch. Ich kaufte Brathähnchen ein, Paprika, eingelegten Schafskäse und eine Honigmelone. Ich fragte John nicht, ob ich seinen Mercedes nehmen durfte, ich sagte ihm einfach: »Heute brauchen Sie mich nicht zu begleiten.«
    Er nickte.
    Wie oft war ich diese Strecke schon gefahren, mit dem Bus, zweimal umsteigen, an der Haltestelle wartenzwischen fünf und 45 Minuten. Ich spürte keinen Triumph, sondern nur eine selige Ruhe.
    Ich parkte vor Dieters Haus. Wie lange war es her, dass ich hier ausgezogen war? Wie viele Jahre meines Lebens hatte ich hier verbracht? Ich holte meinen Schlüssel hervor, ging an verbrannten Briefkästen vorbei, in die offenbar jemand Knallfrösche gesteckt hatte. Es roch stickig nach stehen gebliebener Zeit und chronischer Nebenhöhlenentzündung.
    Ich öffnete die Wohnungstür mit meinem Schlüssel, mit einer vertrauten Bewegung, und ich spürte das Echo jenen Ärgers, den diese Drehung früher tausendfach in meiner Seele verursacht hatte.
    Ich kämpfte ein wenig gegen das Schloss, es klemmte immer noch und wollte meinen Schlüssel nicht wieder hergeben. Jemand schlurfte herbei. So hörte es sich an, wenn meine Patientinnen auf der gemischten Frauenstation nach ihren Bauchoperationen die ersten Schritte über den Flur wagten, sich mit der Hand an der Wand festhaltend. Im Türrahmen erschien ein Gespenst im verwaschenen Bademantel, der den Blick auf magere Beine freigab und einen ebensolchen Hals, der aus dem speckigen Kragen ragte. Dieters Gesicht war nicht mehr ganz Dieters Gesicht, vielleicht lag es
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