Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche
träumen lassen. Aber mein Gott, wie sah sie aus! Warum hatte ihr niemand gesagt, was sie anziehen sollte? Warum ließ man sie mit solchen Haaren vor die Kamera ? Warum hatte man sie nicht geschminkt, warum ließ man es zu, dass sie sich vor den deutschen Fernsehzuschauern derart blamierte?
Aminats schwarzes Haar war zu einem dürren Pferdeschwänzchen zusammengebunden. Das sah man, weil die Kamera um sie herum fuhr. Man sah auch sehr gut, was für eine schlechte Haltung sie hatte. Ich schämte mich in Grund und Boden. Sie trug ein blaues T-Shirt, auf dem mein Adlerauge winzige Schmutzflecken erspähte, sie trug Jeans, die tief auf den Hüften saßen. Wenigstens war sie schlank. Sehr dünn eigentlich. Sie sah sehr jung aus, als hätte es all diese Jahre nicht gegeben. Sie sah aus, als hätte sie in diesen ganzen Jahren nichts zu essen bekommen. Sie war immer noch ein Kind, obwohl fast zehn Jahre vergangen waren.
Und sie sang. Sie sang im Fernsehen, und jeder konnte sehr gut hören, dass sie zu wenig geübt hatte. Ich hätte sie in die Musikschule schicken sollen – dann hätte sie vielleicht jetzt etwas besser gesungen und sich nicht so blamiert.Sie trug ein Lied auf Englisch vor, eins, das oft im Radio lief. Ich glaube, es ging um die Liebe, jedenfalls war die Melodie sehr traurig.
Aminat sang ein bisschen leise. Man konnte sie schlecht hören. Jetzt fiel mir auch auf, dass in dem Raum, in dem sie aufgenommen wurde, drei Menschen an einem langen Tisch saßen, eine Frau, zwei Männer. Sie hörten meinem Mädchen zu. Und obwohl es mir nicht gefiel, wie sie sang, war klar, wie unendlich traurig ihr Lied war. Selbst die Greisin in ihrem Bett hörte auf zu röcheln.
Aminat war fertig. Ihre Unterlippe war geschwollen. Vielleicht lebte sie mit einem Mann zusammen, der sie verprügelte. Sie musste ja von irgendwas gelebt haben in dieser ganzen Zeit, und da sie nichts konnte, hatte sie wahrscheinlich einen Mann gefunden, der sie aushielt, vermutlich einen alten Sack, der gierig war auf ihr junges dünnes Fleisch. Schade nur, dass er ihr keine besseren Klamotten gekauft hatte. Die Kamera strich über Aminats Augen, schwarz, nervös blinzelnd in Großaufnahme, sodass jeder sehen konnte: Sie hatte versucht, sich einen Lidstrich aufzutragen, hatte ihn dann aber wieder weggewischt, sehr schlampig.
Der Name, der eingeblendet war, war ihrer: Aminat K., 19 Jahre alt. Es wäre schöner gewesen, wenn sie den Namen ausgeschrieben hätten, damit ihn jeder hätte lesen können.
Wir hatten uns neun Jahre nicht gesehen. Sie musste fast dreißig sein, aber das sollte ihr Geheimnis bleiben, dachte ich, und meins auch. Sie hatte völlig recht – sie sah sehr jung aus, und wer wollte schon eine Dreißigjährige im Fernsehen?
»Wie alt bist du, Anita?« fragte ein Glatzkopf am Tisch.
Aminat schaffte es erst im dritten Anlauf, die Zahl 19 auszusprechen. Sie war nervös, man konnte sehen, dass sie log. Reiß dich zusammen, flüsterte ich. Und halt den Rücken gerade! Und als könnte sie mich hören, straffte sie ihre Schultern und wiederholte: »Ich bin 19 Jahre alt.«
»Und gehst du noch zur Schule?« fragte der Glatzkopf.
Sie schüttelte den Kopf.
»Und du möchtest eine berühmte Sängerin werden?«
Die Kamera fing Aminats Mund ein, jeder konnte sehen – ihr fehlte ein Schneidezahn. Der Mund öffnete sich, die Zunge fuhr über die trockenen Lippen, und Aminat sagte heiser: »Ja. Ich werde eine berühmte Sängerin.«
Ich klatschte in die Hände, während die drei Leute am Tisch die Köpfe zusammensteckten. Dabei ließen sie Aminat nicht aus den Augen, die weiter allein mitten im Raum stand.
»Du bist weiter«, sagte die schöne Frau mit glattem blondem Haar und in einem glänzenden Kleid. Sie sah sehr schick aus, genau richtig fürs Fernsehen.
Du bist weiter, flüsterte ich, während die Kamera zu wackeln begann und der Glatzkopf aufsprang. Dann sah es die ganze Fernsehnation: Aminat war bewusstlos zu Boden gesunken.
Ich fühlte mich absolut gesund, seit ich Aminat im Fernsehen gesehen hatte. Ich sagte es der Chinesin und ihren Kollegen, zwei älteren Ärzten, die sie zur Verstärkung herbeigeholt hatte – sie hatten es alle auf meine Nieren abgesehen, vielleicht brauchten sie Spenderorgane. Ich ließ fallen, ich hätte meine verschollene Enkelin gerade im Fernsehen gesehen, sie werde bald eine berühmte Sängerin. Die Weißkittel wechselten Blicke. Schließlich unterschrieb ichein Papier, auf dem stand, dass ich das
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