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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin
Autoren: Sandra Lüpkes
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seinem Blick. Thore Felten und Fokke Cromminga standen auf dem Podest, sie hielten jeder ein Glas in der Hand und lächelten um die Wette. Sanders konnte sich dieses Bild nicht erklären, nach einem gestörten Vater-Sohn-Verhältnis sah das absolut nicht aus.
    »Meine Damen und Herren, ich bin sehr froh und stolz, dass Ihnen unsere kulinarische Liebeserklärung an die Juister Sanddornbeere allem Anschein nach so gut gemundet hat«, sagte Felten in diesem Augenblick, und im Saal schwoll ein prasselnder Applaus an, lächelnde Gesichter blickten zur Bühne, wo Felten sich immer und immer wieder verbeugte.
    »Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen jetzt unseren Zauberer am Herd, unseren Magier an den Töpfen, unser Genie an den Pfannen vorzustellen. Ihm, und nur ihm allein, haben Sie diese einzigartige Geschmackseuphorie zu verdanken. Es ist mein lieber Sohn Fokke Cromminga, der Ihnen auch gleich das süße Finale ankündigen wird. Vielen Dank.«
    Das Klatschen schien sich noch zu steigern, die ersten Gäste erhoben sich respektvoll von ihren Plätzen, andere taten es ihnen gleich, bis unter anhaltendem Applaus jeder im Saal stand und lächelte und nickte und anerkennende Rufe von sich gab.
    Sanders wurde von hinten angestoßen, und als er sich umblickte, konnte er das Küchenpersonal die Treppe heraufkommen sehen. Er stellte sich ein Stück zur Seite.
    Fokke Cromminga nahm das Mikrophon zur Hand, er räusperte sich. Die Menschen klatschten weiter, er bedankte sich auf nette, fast bescheidene Art und räusperte sich erneut, bis die Gäste die Hände langsam sinken ließen und sich eine feine, neugierige Stille im Saal breit machte.
    »Sehr verehrte Gäste, glauben Sie mir, jede Prise Salz in diesem Menü, jeder Teelöffel Kräuter, jedes Gramm Butter und jeder Zentiliter Sahne war mir eine Ehre, denn für solch dankbare Zungen wie die Ihren zu kochen, ist das Schönste und Erstrebenswerteste, was sich ein wahrer Koch nur vorstellen kann. Ich bin stolz, auch auf jeden Kollegen und jede Kollegin, der oder die mir heute in der Küche zur Seite gestanden hat. Danke auch an den Service, ohne den meine Kochkunst nur lauwarm und halb verschüttet auf Ihrem Tisch ankommen würde.«
    Ein kurzer, herzlicher Applaus mit erhobenen Händen und nickenden Köpfen unterstützte Crommingas Worte.
    »Doch das Dessert, wenn man es denn als solches bezeichnen kann, wird vielleicht ein wenig anders ausfallen, als Sie es sich gerade vorstellen.«
    »Das Dessert ist ein Haufen Matsch, Fokke, vergiss es«, hörte Sanders ein Flüstern hinter sich.
    Fokke Cromminga legte den Arm um seinen Stiefvater. Irgendwie ahnte Sanders, dass diese Geste nicht gerade freundschaftlich zu deuten war. Er ging eng an der Wand entlang in Richtung Bühne. Britzke schien auch in Bereitschaft versetzt zu sein. Wo steckte Wencke, verdammt noch mal, wo steckte sie bloß?
    »Ich möchte Ihnen nämlich als Nachtisch eine kleine Geschichte erzählen, eine Geschichte über meinen Stiefvater, Ihren lieben Gastgeber Thore Felten.«
    Felten schaute seinen Stiefsohn verwundert an, nicht erschrocken, nur verwundert.
    »Es ist eine Geschichte, die man ohne weiteres mit dem Sanddorn vergleichen kann: Sie ist bitter, und sie hat Dornen, sie wird Ihnen vielleicht beim ersten Mal nicht besonders schmecken, doch es ist immer eine Frage der Zubereitung, wissen Sie?«
    Langsam setzten sich die ersten Gäste wieder auf die Plätze, nicht ohne das Gesicht mit voller Aufmerksamkeit auf Fokke Cromminga zu richten.
    »Es ist die Geschichte von einem Mann, der seine Familie zur Hölle schickt, um sich den Himmel auf Erden zu verwirklichen. Es ist die Geschichte von einem Mann, der seine Frau in den Wahnsinn treiben will, um für sich klare Verhältnisse zu schaffen. Und es ist leider auch die Geschichte von einem Mann, der schließlich zum Mörder von Ronja Polwinski wird, um so das letzte Hindernis aus der Welt zu räumen, um allein an der Spitze zu stehen und alle anderen vor die Hunde gehen zu lassen.«
    Es war still, es war totenstill. Niemand rührte sich, niemand klapperte mit Geschirr, niemand putzte sich die Nase.
    Thore Felten blickte fassungslos und mit leerem Blick in die Menge. Er war getroffen, sein Stiefsohn hatte ihm einen Schlag versetzt, und er hatte keinen Schutz davor gehabt. Fast tat er Sanders Leid. Britzke und er schienen die Ersten zu sein, die sich aus der Erstarrung lösten. Parallel liefen sie auf Felten zu, mehr um ihn zu stützen, als um ihn zu verhaften.
    Sie
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