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Die Salzbaronin

Die Salzbaronin

Titel: Die Salzbaronin
Autoren: Petra Durst-Benning
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erklären?
    Jeder hatte damals angenommen, dass der Graf seine Tochter ablehnen würde, ja, dass sie ihm nicht einmal unter die Augen kommen dürfte. Dass er den Rest seines Lebens vor Trauer und Gram vergehen würde. Doch alle hatten sich getäuscht: Frederick von Graauw verkürzte das Trauerjahr auf sechs Monate und heiratete Viola, die ältere Schwester seiner verstorbenen Gattin, die eiligst aus Stuttgart angereist war, um sich ihres verwitweten Schwagers und der beiden Waisen anzunehmen. Mit viel gutem Willen versuchte Viola von Graauw, den Kindern die Mutter zu ersetzen, doch bei Dorothea reichte guter Wille einfach nicht aus: Statt sich Feinstickereien und anderen weiblichen Fertigkeiten zu widmen, wie dies in Violas Sinne gewesen wäre, verbrachte Dorothea die meiste Zeit ihrer Kindheit in der Saline, die ihrer Familie gehörte. Und wenn der Graf zu seinem täglichen Rundgang durch die fünf Sudhäuser aufbrach, dann war nicht Georg, sein erstgeborener Sohn, sondern stets Dorothea an seiner Hand dabei. Seltsamerweise dachten sich die Leute nie etwas dabei, sie waren es einfach nicht anders gewöhnt. Trat Frederick von Graauw nach einem kurzen Kontrollgang den Heimweg an, um sich seiner geliebten Jagd oder anderen Dingen zu widmen, blieb seine Tochter oftmals allein zurück, um mit den Salzkindern zu spielen oder im warmen Solewasser zu planschen. Meist hielt sie sich jedoch in einem der Sudhäuser auf, wo ihre Anwesenheit von den Arbeitern nicht nur toleriert, sondern fast schon gern gesehen wurde. Aus der Art, in der die Leute von Dorothea sprachen, hatte Rosa schon als Kind herausgehört, wie stolz sie auf die Tatsache waren, dass die kleine Grafentochter sich nicht zu fein war, sich mit Solenachfüllern, Abziehern und Zwieseldirnen abzugeben. Als irgend jemand anfing, Dorothea scherzhaft »die Salzbaronin« zu nennen, ahmten andere dies bald nach, und so hieß es »Schaut, hier kommt unsere Salzbaronin!« oder »Wie geht es unserem Fräulein Salzbaronin heute?«. Und die Leute winkten Dorothea von Graauw dabei zu.
    Rosa kniff die Augen zusammen, um gegen das gleißende Sommerlicht etwas sehen zu können. Auch das hatte sich bis heute nicht geändert. Noch immer war es Dorothea, die tagtäglich in der Saline auftauchte - ihren Bruder dagegen hatte man seit zwei Jahren nicht mehr gesehen. Aber es hieß, dass Georg von Graauw nun mit seinem Studium fertig sei und dass seine Hochzeit mit einer feinen Dame bevorstünde. Georg von Grauuw-Rosa konnte sich nicht mehr richtig an ihn erinnern, er war …
    Ein ranziger Geruch stieg aus dem Kessel hoch und in Rosas Nase. Sie schaute nach unten und sah, wie sich auf dem Boden des Kessels ein dunkelbrauner Kreis bildete. Hastig rührte sie das siedende Fett um, doch vergeblich. Die Salbe war angebrannt, ihre Heilkräfte mit den grauen Schwaden, die aus dem Topf aufstiegen, verpufft. Verdammt! Rosa biss sich auf die Lippen. Nun konnte sie das gute Fett gerade noch dazu benutzen, rissig gewordene Hände einzusalben - für mehr taugte es nicht mehr. Das hatte sie nun davon, Dingen nachzusinnen, die sie nichts angingen!

2
    Als Dorothea durch das Portal ins kühle Innere des Hauses trat, spürte sie, wie im selben Moment drei kleine Schweißtropfen hintereinander zwischen ihren Brüsten hinabrannen und unangenehm kitzelten. Zu gern hätte sie sich die juckende Haut gerieben, doch das hätte nur einen dunklen Fleck auf ihrem grünen Kleid hinterlassen. So winkelte sie wenigstens die Arme etwas ab und genoss den kühlen Luftzug, der jedesmal, wenn sie an einer weit geöffneten Zimmertür vorbeiging, ihren Leib umspielte. Einen heißeren Tag zum Heiraten hätte sich Georg nicht aussuchen können!
    Das Kaminzimmer lag am Ende des Ganges auf der linken Seite. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum ihr Vater sie unter den Hunderten von Gästen hatte suchen lassen. Heute war Georgs Tag - der von Elisabeth natürlich auch -, und das war auch gut so. Was also wollte er da von ihr? Um die Saline würde es gerade heute doch sicher nicht gehen, oder?
    Mit feuchter Hand fuhr sie sich über ihre hochgesteckten Haare, deren Nervenenden schmerzten, als würde Dorothea mit tausend Nadeln gepiekst, und tastete ab, ob noch jede Locke an ihrem Platz war. Sie hätte auch vor einen der vielen Spiegel treten können, die abwechselnd mit den Portraits verblichener Grafen von Graauws den Gang zierten, doch dazu war Dorothea zu uneitel.
    Ihr Vater war nicht allein.
    »Da bist du ja endlich!« Mit
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