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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes
Autoren: Paul Harding
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hat recht, Athelstan. Man hat dich zur Strafe
nach St. Erconwald geschickt. Ich habe dir zur Buße aufgegeben, Sir
John zu helfen.« Er schaute Athelstan an. »Ich danke dir für das,
was du hier getan hast, und ich entschuldige mich für meine
schroffen Worte. Du hattest recht; die Wahrheit ist die Wahrheit,
und eine Lüge ist wie eine Geschwulst: Sie wächst und wächst und
verdirbt am Ende alles. Wie kamst du darauf, daß Hildegarde der
Schlüssel sei?«
    »Pater Prior, dies war der
seltsamste Fall, den ich je untersucht habe. Ich hatte keinerlei
Beweis. Der einzige Hinweis war dieser Name.« Er lächelte. »Sie muß
eine große Dame gewesen sein, eine tiefsinnige Denkerin. Ihre Werke
sollten viel mehr gelesen und studiert werden. Vielleicht war sie
es ja, die uns geleitet hat.«
    »Was passiert jetzt mit ihm?« fragte
Cranston unvermittelt. Der Prior stand auf und nahm das Buch in
beide Hände. »Man wird ihn der päpstlichen Inquisition in Rom oder
Avignon übergeben. Glaubt mir, Sir John, wenn die dort mit ihm
fertig sind, wird das Grauen eines Todes am Galgen hier in London
dagegen wie ein Vergnügen erscheinen.« Der Prior ergriff Athelstans
Hand. »Du kannst zurückkommen, wann immer du möchtest. Deine Buße
ist wahrlich beendet.« Er wandte sich rasch ab. »Aber ich vergesse
mich. Sir John - was ist mit dem Rätsel, das Ihr zu lösen
hattet?«
    »Erledigt«, antwortete Cranston
großspurig. »Wie hat der heilige Paulus
gesagt: ›In der Spanne eines Lidschlags‹.«
    Der Prior wandte sich an Athelstan.
»Dann wirst du den Brief nicht mehr
brauchen?«
    »Ich habe ihn bereits vernichtet,
Pater.«
    Der Pater Prior lächelte beiden zu
und ging hinaus.
    *
    Cranston und Athelstan kehrten mit
dem Boot nach Southwark zurück. Stolz wie ein Pfau beharrte der
Coroner darauf, Athelstan nach St. Erconwald zu begleiten. Er
schwatzte wie eine Elster und erzählte so laut, daß der halbe Fluß
zuhören konnte, was er mit den tausend Kronen anzufangen gedachte.
Seine Beredsamkeit wurde durch den wunderbaren Weinschlauch immer
weiter gefördert. Dennoch behielt er Athelstan fest im Auge; er
spürte, wie bedrückt der Ordensbruder über die Ereignisse in
Blackfriars war. Athelstan starrte düster über den Fluß, der in
sonntäglicher Mittagsstille lag; nur gelegentlich sah man eine
Barke oder ein Fährboot auf dem Weg hinunter nach Westminster. Sie
landeten bei St. Marys Wharf und wanderten durch die Straßen und Gassen von Southwark, die an diesem
warmen Sommernachmittag ebenfalls ungewöhnlich still und ruhig
dalagen.
    »Faules Pack!« bemerkte Cranston.
»Wahrscheinlich schlafen sie alle noch ihren Rausch vom Vormittag
aus.«
    »Ja, Sir John, es ist furchtbar, was
manche Leute sich so in die Kehle schütten.«
    Cranston schaute ihn mit schmalen
Augen an und schob den wunderbaren Weinschlauch tiefer unter den
Mantel. Auch St. Erconwald lag ruhig und friedlich da. Die
Kirchentreppe war verlassen, und auf dem Friedhof und in dem
kleinen Garten am Pfarrhaus war es still bis auf das Summen der
Bienen zwischen den wilden Blumen, die dort
wuchsen. 
    Athelstan vergewisserte sich, daß
alles an Ort und Stelle war. Das Pfarrhaus war verschlossen, und
Philomel fraß in seinem Stall; also hatte Watkin seine Aufgaben
gewissenhaft erfüllt. Ursulas riesige Sau hatte den letzten Rest
Kohl gefressen. Athelstan fluchte laut.
    »Du hast doch noch deine Zwiebeln«,
stellte Cranston fest. Athelstan dachte an Crims Beichte und
schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Kommt, Sir John, wir schauen mal
die Kirche an.« Er schloß die Tür auf und blieb im Vorraum stehen.
»Seltsam«, sagte er. »Nicht wahr, Sir John?«
    Cranston stand hinter ihm und ließ
den wunderbaren Weinschlauch von den Lippen sinken.
    »Wovon sprichst du, Bruder? Du bist
wirklich in einer sonderbaren Stimmung.«
    Athelstan ging durch die dunkle
Kirche und hörte, wie der Klang seiner Schritte die heilige Stille
zerbersten ließ. Auf halbem Weg blieb er stehen und schaute zu dem
Gemeindesarg hinüber, der leer im Querschiff stand.
    »So vieles ist hier geschehen«,
sagte er leise. »Freude, Schmerz, Zorn … Mord. Ein seltsamer Ort,
Sir John.« Cranston nahm noch einen Schluck aus dem Weinschlauch.
Er mußte an die Einladung denken, die der Prior ausgesprochen
hatte. Oh, lieber Gott, betete er, laß Athelstan nicht weggehen. Er
darf mich nicht verlassen. Er schaute auf die breiten Schultern des
Ordensbruders und merkte plötzlich, daß er diesen seltsamen Pfaffen
liebgewonnen
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