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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes
Autoren: Paul Harding
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gestohlen
hast, einer deutschen Äbtissin, die vor hundertzwanzig Jahren lebte
und eine glänzende Abhandlung über die Frage geschrieben hat,
weshalb Gott Fleisch geworden sei. Eine originelle, einleuchtende
Abhandlung, die damals zurückgewiesen wurde.« Cranston blickte
grinsend in die Runde der Dominikaner. »Weil es sich nicht gehörte,
daß Frauen Spekulationen über die göttliche Wissenschaft der
Theologie anstellten, wurden ihre Schriften vergraben, ja sogar
vernichtet. Aber du, Bruder Henry, hast eine Abschrift gefunden. Du
hast sie Wort für Wort abgeschrieben und als eigene Arbeit
ausgegeben. Du glaubtest, man würde dich nicht entlarven. Es gibt
nur noch wenige Abschriften von Hildegardes Werken. So bist du nach
Blackfriars gekommen, um die Angelegenheit mit den Brüdern Niall
und Peter zu erörtern, während unsere Freunde von der Inquisition
zuhörten.«
    Cranston stand auf. »Du hast nur
einen Fehler begangen. Bruder Callixtus war kein Theologe, aber er
hatte, wie mein guter Freund Athelstan mir erzählt hat, ein
wunderbares Gedächtnis. Nun gab es hier in der Bibliothek von
Blackfriars ein Exemplar von Hildegardes Werken. Deine Abhandlung
erweckte eine Erinnerung bei Callixtus, und er erzählte seinem
guten Freund Alcuin davon.« Cranston hielt inne, denn Henry von
Winchester beugte sich vor und deutete mit dem Finger auf
ihn.
    »Keine theologische Abhandlung ist
jemals völlig neu.« Rasch schaute er in die Runde und erwartete
Bestätigung. »Ich habe nie behauptet, die meine sei es. Woher
sollte ich wissen, daß Callixtus jemanden namens Hildegarde
kannte?« 
    »Das kann ich nicht beweisen«, sagte
Cranston, »aber Callixtus verspürte - wie jedes menschliche Wesen -
leisen Neid. Er muß den Namen Hildegarde seinem guten Freund Alcuin
gegenüber erwähnt haben, und ich schätze, einer der beiden hat dich
damit geködert.« Cranston zuckte die Achseln. »Dazu wäre ja nicht
viel nötig. Sie brauchten den Namen nur in deiner Gegenwart
fallenzulassen, als warnenden Hinweis darauf, daß sie die Wahrheit
kannten. Daher Callixtus' rätselhafte Bemerkung, das Generalkapitel
vergeude seine Zeit. Das tat es allerdings, denn es debattierte
über eine Arbeit, die schon vor vielen Jahren geschrieben wurde.«
Er schwieg einen Augenblick. »Ich vermute, Alcuin war der erste,
der dich damit reizte, und so wurde er in die Krypta gerufen. Aber
im Dunkeln hast du Bruder Bruno mit ihm verwechselt und diesen in
den Tod stürzen lassen.« Cranston zuckte die Achseln. »Aber Alcuin
mußte dran glauben; also erwartetest du ihn in der Kirche, was ja
nicht schwierig war. Callixtus war der nächste, und dann der arme
Roger. Inzwischen hattest du, wahrscheinlich indem du Callixtus
beobachtetest, das Original des Werkes gefunden und vernichtet. Du
hast nur einen Fehler begangen: Die Dominikaner in Oxford besitzen
Abschriften von allen Manuskripten hier, und so ließ Athelstan
Ersatz kommen.«
    »Stimmt das?« unterbrach der Prior,
an das Generalkapitel gewandt, um Zeit zu gewinnen, aber die
anderen glotzten den Coroner immer noch mit offenem Mund an. Der
Prior schlug das Buch auf und strich die Seiten glatt. »Master
William de Conches«, sagte er, »und Eugenius, kommt her. Ihr habt
Henry von Winchesters Schrift eingehend genug studiert. Laßt mich
Euer Urteil hören.« Die Inquisitoren erhoben sich. Der Prior
reichte ihnen das Buch; sie zogen sich in eine Ecke des Raumes
zurück und steckten die Köpfe zusammen. Die übrigen blieben sitzen;
der Beschuldigte starrte erbost ins Leere, und nur hin und wieder
schaute er Athelstan aus dunklen Augen vorwurfsvoll an. Endlich
klappte William de Conches das Buch zu und legte es vor dem Prior
auf den Tisch.
    »Bruder Henry von Winchester«, gab
er bekannt, »ist vielleicht nicht des Mordes schuldig, aber gewiß
ist er ein Dieb und ein Lügner, der ein fremdes Werk gestohlen und
als sein eigenes ausgegeben hat.« Der junge Theologe grinste
spöttisch.
    »Was findest du daran so komisch,
Bruder?« schnurrte Cranston.
    »Vielleicht habe ich ja ein fremdes
Werk genommen und weiterentwickelt.«
    »Unsinn!« erklärte Eugenius. »Du
hast gestohlen, was dir nicht gehört. Auf der ersten Seite stellt
Hildegarde die Hypothese auf, die du vertrittst. Sie benutzt
dieselben Zitate aus der Heiligen Schrift. Dieselben Aussagen der
Kirchenväter. Du bist ein Dieb!«   
    Henry von Winchester hob die Hand.
»Aber kein Mörder«, erwiderte er langsam. »Ihr habt keinen Beweis
dafür, daß ich
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