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Die Sakristei Des Todes

Die Sakristei Des Todes

Titel: Die Sakristei Des Todes
Autoren: Paul Harding
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Noviziat ein brillanter Student, hatte er sein Gelübde
gebrochen, war, den Kopf voll romantischer Geschichten,
davongelaufen in den Krieg und hatte seinen kleinen Bruder Francis
mitgenommen. Athelstan war zurückgekehrt, Francis nicht. Seinen
Eltern hatte es das Herz gebrochen, und nur der Pater Prior hatte
Athelstan vor der ganzen Härte des dominikanischen Gesetzes
bewahren können. Athelstan hatte sein Studium beendet, seine
Gelübde abgelegt und war zum Priester geweiht worden. Dann hatte
man ihn zur Arbeit in die stinkenden Gassen der Londoner
Elendsviertel entsandt. Alcuin hörte ein Geräusch und hob den Kopf.
Er spähte im dunklen Gotteshaus umher, sein Blick wanderte schnell
über die großen Statuen der Apostel in ihren Nischen. Hier konnte
niemand sein. Er hatte in der stillen Zeit zwischen Vesper und
Komplet allein sein wollen, um nachzudenken und zu beten. Alcuin
rieb sich das Gesicht, und wieder hob er den Kopf und starrte
hinauf zum Kruzifix. Das bot dem Mörder, der sich von hinten
angeschlichen hatte, die Gelegenheit, die Sehne der Garotte um
Alcuins mageren, faltigen Hals zu schlingen. Ein paar Augenblicke
lang wehrte sich der Sakristan heftig, aber die Schlinge wurde
enger gezogen, und während ihm noch das eigene Blut in den Ohren
pochte, starb Alcuin. Er hatte nicht mehr schreien, kein Gebet
sprechen und auch nicht den Namen seines Freundes Athelstan
flüstern können.
    *
    An der Ecke der stinkenden Gasse
gegenüber von St. Erconwald stand auch jemand und starrte zum
ernsten, düsteren Berg des Kirchengebäudes hinüber. Auch er dachte
an vergangene Sünden und an Gottes bevorstehende Rache und
Gerechtigkeit. Der Beobachter hielt sich dicht an der
urinbesudelten Wand. Er achtete nicht auf den Bettler, der hinter
ihm wimmerte, und trat hin und wieder von einem Fuß auf den
anderen, wenn Ratten aus den Mauerritzen hervorschlüpften, um
zwischen übelriechenden Haufen von Kot und Abfall zu
jagen.
    Aus einem Fenster weiter oben in der
Gasse hörte man ein junges Mädchen singen; die klare, süße Stimme
wollte nicht zu der stinkenden Gasse passen und schien dem
Beobachter in der Dunkelheit überaus unangemessen. Der Mann lehnte
sich an die Mauer. Es war ein bittersüßes Lied, das Erinnerungen an
die Vergangenheit heraufbeschwor, Erinnerungen vor allem an eine
geheime Sünde. Doch er hatte getan, was in seiner Macht stand:
Hunderte Wachskerzen hatte er vor den Heiligenfiguren in der
Kathedrale von St. Paul angezündet, er war zu Beckets Grab nach
Canterbury gepilgert, um sich dort zu Boden zu werfen, und er hatte
den Armen reichlich Geld gegeben. Er war sogar zu Leuten gegangen,
die sich mit der Schwarzen Kunst befaßten, Kreaturen der Nacht mit
Zauberbüchern in geheimen, luftlosen Kammern. Er hatte eine Münze
unter die Zunge eines Gehängten geschoben und, den Anweisungen des
Zauberers folgend, zwei Nächte unter dem Schafott verbracht und dem
Herrn der Finsternis ein Lied gesungen, auf daß sein Geheimnis
verborgen bleibe. Der Beobachter starrte hinauf zum Kirchturm von
St. Erconwald. Das Blitzen reflektierten Lichts verriet ihm, daß
Pfarrer Athelstan mit seinem Fernrohr und den Tierkreiskarten dort
oben war, den Himmel befragte und in dieser milden Sommernacht
darauf wartete, daß der Abendstern erschien. Der Beobachter bewegte
sich. Wahrlich, die Schrift hatte recht: Die Sünde verfolgte den
Sünder stets. Er fühlte, wie sie herankroch, ein abscheuliches
Wesen, das sich hinter ihm durch die Gassen wälzte. Er roch ihren
Atem, fühlte ihre kalten Klauen in seinem Nacken, und dennoch - was
konnte er tun? Ein Geständnis bedeutete den Galgen; aber Schweigen
würde den furchtbaren Tag nur aufschieben. Er schaute zur Kirche
hinüber, zum Hause Gottes und zum Tor des Himmels. Aber für den
Beobachter in der Dunkelheit stank auch die Kirche nach alter
Sünde.

 
    EINS
    Sir John Cranston, der große, dicke,
offenherzige Coroner der Stadt London, ließ sich auf seinem
hochlehnigen Stuhl zurücksinken und nippte genüßlich an einem
juwelenbesetzten Becher, randvoll mit dem Besten, was die Weinberge
von Bordeaux hervorbringen konnten. Er rülpste sanft und strahlte
in die Runde. Fackeln aus reinem Harz und große Wachskerzen
erleuchteten die Halle. Pagen in der Livree des Herzogs von
Lancaster, John von Gaunt, standen an den Wänden und hielten
ebenfalls Fackeln in den Händen, so daß der Raum trotz der
Dunkelheit draußen strahlte und funkelte wie an einem
Sommertag.
    »Wahrhaft wundervoll«,
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