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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Autoren: Ken Follett
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weit genug ausholen konnte und seine Schläge wirkungslos blieben. Tom zögerte, hin und her gerissen zwischen der Entscheidung, entweder den Schweinedieb zu verfolgen oder seinen Sohn zu retten. Schließlich gelang es dem Kahlköpfigen, Alfred ein Bein zu stellen. Der Junge stürzte zu Boden. Sofort waren die beiden Wegelagerer über ihm und prügelten wie besessen auf ihn ein.
    Tom eilte ihm zu Hilfe. Er rammte den Kahlkopf mit dem ganzen Gewicht seines Körpers, sodass der Mann in hohem Bogen ins Gebüsch flog. Dann drehte er sich um und visierte einmal mehr mit dem Hammer den grünen Hut an. Der Angreifer hatte die Wucht des Hammers schon einmal geschmeckt und konnte sich ohnehin nur noch mit einem Arm verteidigen. Dennoch gelang es ihm, dem ersten Hieb auszuweichen und, noch ehe Tom ein zweites Mal ausholen konnte, im Unterholz zu verschwinden.
    Tom drehte sich nach den beiden anderen Wegelagerern um: Der Kahlkopf machte sich über den Pfad davon; von dem Schweinedieb, der sich in entgegengesetzter Richtung aus dem Staub gemacht hatte, war nichts mehr zu sehen.
    Ein bitterer, gotteslästerlicher Fluch entfuhr seinen Lippen: Das Schwein entsprach der Hälfte ihrer Ersparnisse, die sie in diesem Sommer zurückgelegt hatten. Schwer keuchend sank Tom zu Boden.
    »Wir haben drei Männer in die Flucht geschlagen«, sagte Alfred aufgeregt.
    Tom sah ihn an. »Aber sie haben unser Schwein.« Die Wut brannte in seinem Magen wie saurer Most. Sie hatten das Schwein im Frühjahr von ihren ersten Ersparnissen gekauft und es den ganzen Sommer über gemästet. Ein fettes Schwein brachte sechzig Pence auf dem Markt. Sein Fleisch konnte, zusammen mit ein paar Kohlköpfen und einem Sack Getreide, eine ganze Familie über den Winter bringen. Aus seiner Haut ließen sich ein Paar Lederschuhe und ein oder zwei Beutel fertigen. Der Verlust des Schweins war eine Katastrophe.
    Neidvoll betrachtete Tom seinen Sohn: Alfred hatte sich von der Verfolgungsjagd und dem anschließenden Kampf schon wieder erholt und wartete nun ungeduldig auf seinen Vater. Einst konnte ich laufen wie der Wind, ohne mein Herz zu spüren, dachte Tom. Wie lange mag das her sein? Vor zwanzig Jahren war ich in seinem Alter … vor zwanzig Jahren! Mir ist, als wäre es erst gestern gewesen.
    Er rappelte sich auf. Auf dem Rückweg, der sie zunächst wieder den Pfad entlang führte, legte er den Arm um Alfreds breite Schultern. Der Junge war noch etwa eine Spanne kleiner als er, aber das würde sich bald ändern. Gut möglich, dass Alfred ihm eines Tages sogar über den Kopf wuchs. Ich hoffe, sein Verstand wächst ebenso schnell, dachte Tom und sagte: »Jeder Narr kann in eine Schlägerei geraten. Der kluge Mann weiß sich herauszuhalten.« Alfred sah ihn verwirrt an.
    Sie verließen den Pfad, stapften durch den Morast und kletterten den angrenzenden Hang empor. Erst als sie das Dickicht aus jungen Birken erreichten, fiel Tom Martha wieder ein, und erneut stieg die Wut in ihm hoch: Der Wegelagerer hatte das unschuldige Kind, das nie eine Gefahr für ihn war, ohne jeden Grund niedergeschlagen und verletzt.
    Tom beschleunigte seine Schritte, und wenige Augenblicke später stand er zusammen mit Alfred wieder auf der Straße. Martha lag noch unverändert an derselben Stelle auf dem Boden. Ihre Augen waren geschlossen, und das Blut in ihrem Haar trocknete bereits. Agnes kniete neben ihr – und neben Agnes kniete, zu Toms größter Überraschung, eine fremde Frau, die einen kleinen Jungen bei sich hatte. Kein Wunder, dass ich mich heute Morgen immer wieder beobachtet fühlte, dachte er, in diesem Wald scheint es ja vor Menschen zu wimmeln! Er bückte sich und legte Martha die Hand auf die Brust. Ihr Atem ging gleichmäßig.
    »Sie wird bald aufwachen«, sagte die Fremde mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. »Und dann wird sie kotzen. Danach ist alles wieder gut.«
    Tom betrachtete die Fremde neugierig. Sie war ziemlich jung, vielleicht ein Dutzend Jahre jünger als er. Ihr kurzes ledernes Überkleid enthüllte geschmeidige, gebräunte Glieder. Ihr Gesicht war hübsch, und ihr dunkelbraunes Haar bildete über der Stirn eine Teufelsmütze. Tom spürte einen Anflug von Begehren. Doch da hob die Fremde den Kopf und sah ihn an. Sie hatte tief liegende Augen von seltsam honiggoldener Farbe, die ihrem Antlitz einen magischen Zug verliehen, und ihr Blick war von ungewöhnlicher Intensität. Tom war in diesem Augenblick überzeugt, dass die Frau seine Gedanken gelesen
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