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Die Saat der Bestie (German Edition)

Die Saat der Bestie (German Edition)

Titel: Die Saat der Bestie (German Edition)
Autoren: Michael Dissieux
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Vorstellung einer perfekten Welt zu verwirklichen. Es hat ihn fast zwei Wochen Zeit gekostet, denn die Möbel waren schwer und David alleine. Es gab niemanden da draußen, der ihm hätte helfen können. Aber, wie bereits erwähnt, Zeit ist das einzige, das er im Überfluss besitzt.
    Die Kerzen auf den Kommoden und die antike Öllampe auf dem schweren Eichentisch schaffen es kaum, die Schatten der gewaltigen Möbel zu verdrängen. Doch genau das ist es, was David beabsichtigt. Er kauert sich tief in den Schoß der Dunkelheit und genießt die Liebkosungen der Melancholie, wie sie nur eine sterbende Welt zu geben imstande ist. Niemand, der mit der Nacht in seine Stadt kommt, wird ihn hier finden können.
    Auf dem Tisch stehen die Reste seines Abendessens. Gegarte Kartoffeln, Gemüse und ein Salat, der aus seinem eigenen Garten stammt.
    Mit einem Seufzen geht er zu einem kleinen, mit Batterien betriebenen CD-Spieler und legt Neil Young auf; so, wie jeden Abend. David hat diese schwermütige Musik schon als Kind geliebt. Er findet, dass ihre traurige Botschaft ausgezeichnet zu dieser Welt passt.
    Als ›Helpless‹ den Raum erfüllt, verschmilzt er mit den Schatten und wartet darauf, dass die Nacht verschwindet.

    ***

    Ich beobachte sie seit einer Stunde. Sie kam von Norden in die Stadt, in der Mitte der Straße, mit einem Gewehr, das sie quer vor ihrer Brust hielt.
    Ich befand mich in einer finsteren Gasse auf der Suche nach Nahrung, als ich ihren Duft witterte: sauren Schweiß und Angst. Der Geruch überwältigte die Ausdünstungen von verrottetem Fleisch und Kot, die in der Gasse herrschten, und drückte sie nieder. Zurück blieb die Frau.
    Ich folge ihr in den Schatten von Häusern und Büschen, nackt und auf allen Vieren, so, wie es mir als Kreatur der Nacht zusteht. Tief sauge ich ihren weiblichen Geruch in meine Lungen, berausche mich daran, schmecke sie auf meiner Zunge und betrachte schamlos ihre schlanke, hochgewachsene Gestalt. Sie ist eine Kriegerin, das sehe ich an der Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen. Ihre Kleidung ist zerrissen und entblößt so viel ihres Körpers, dass mir Speichel aus dem Maul läuft und sich an meinem Kinn sammelt.
    Obwohl die Nacht schwarz wie Tinte ist, kann ich ihre Haut leuchten sehen, bleich wie die einer Toten, so edel wie glänzendes Porzellan.
    Ich spüre, wie ich hart zwischen den Beinen werde. Wann habe ich zum letzten Mal eine Frau gesehen? Verdammt, ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern.
    Ihre Schritte sind vorsichtig, aber dennoch von einer berauschenden Anmut. Mir scheint, sie ist sich bewusst, dass ich sie beobachte. Sie will mich mit ihrem unschuldigen und naiven Tanz verführen und in ihren weibischen Bann schlagen. Die Luft knistert und liebkost meinen nackten Leib.
    Ich bin der Jäger – und sie die Beute. So ist es immer schon gewesen, auch als die Welt noch eine andere war, und so wird es auch in der neuen Zeit sein. Nur die Starken werden fressen und die Wonnen von Macht und Gier schmecken.
    Unwillkürlich stoße ich ein tiefes Knurren aus und ziehe mich im selben Moment in den Schutz eines alten Werbeplakates zurück. Doch sie hat mich nicht gehört. Unbeirrt schleicht sie weiter die Straße hinunter, genau auf der Mittellinie. Sie ist keine Anfängerin. Ihr Blick geht von rechts nach links und wieder nach rechts. Sie untersucht die Schatten der Häuser, lauscht, wittert. Sie ist wie ich, eines der letzten Raubtiere der Erde. Doch es kann nur einen Jäger geben.
    Plötzlich bleibt sie stehen. Es ist, als würde die Nacht den Atem anhalten. Ich verschmelze mit den Schatten eines Hauseingangs. Mit dem Gewehr im Anschlag dreht sie sich einmal um sich selbst. Ihr langes Haar scheint von innen her zu leuchten. In der Dunkelheit erscheint sie mir wie ein vom Himmel gefallener Engel.
    Hat sie mich gesehen? Meine Erregung gewittert? Ich kauere mich tief in die Schatten und winsele. Ich muss vorsichtiger sein.
    Mit langsamen Schritten, die Umgebung nicht aus den Augen lassend, geht sie auf eines der Häuser zu. In meinem Kopf teilt sich plötzlich für einige Augenblicke ein schwerer, düsterer Vorhang. Ich bin selbst oft in dem Geschäft gewesen, das sich im Erdgeschoss des Hauses befindet. Früher, zu einer anderen Zeit, in einer anderen Welt. Damals bin ich ein anderer gewesen – und nicht alleine. Der Vorhang schließt sich wieder und die Bilder verschwinden, ehe ich sie begreifen kann.
    Das Zerbersten von Glas rollt wie kreischender Donner durch die Nacht
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