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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren
Autoren: Veit Heinichen
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deutlicher werden ließ. Und eigenartigerweise erreichte sie sogar einen Grad an Freundlichkeit, vor allem den Kolleginnen gegenüber, den ihr niemand zugetraut hatte. Ihren Dienst schob sie perfekt, und in ihrer Freizeit verfeinerte sie dreimal die Woche im Polizeisportverein ihre Technik als Kickboxerin sowie an zwei Tagen mit einem privaten Lehrer Wing Tsun Kung-Fu – sofern keine Verbrecher ihr einen Strich durch die Zeitplanung machten. Inspektorin GiuseppinaCardareto hatte den Ehrgeiz, ihre Intelligenz mit exzellenter Kampftechnik zu vereinen, damit würde sie unschlagbar werden, auch für den Fall, daß sie irgendwann aus irgendeinem Grund, den sie nicht anstrebte, den Polizeidienst verlassen müßte. Das konnte schneller gehen, als man sich versah, denn die sensationsgeilen Medien einer gelangweilten Massengesellschaft kannten wenig Pardon mit Verstößen der Sicherheitskräfte gegen die Vorschriften und Gesetze. Genauso wie die Verbrecher und ihre Anwälte. Alle lauerten nur darauf, einem ruckzuck die größten Schweinereien, grobes Fehlverhalten und Übergriffe anzudichten, die einem nicht einmal in hartnäckigsten Situationen durch den Kopf gegangen waren. Und wie schnell konnte es passieren, daß man Dingen auf die Spur kam, an deren Aufdeckung einflußreiche Kräfte nicht das geringste Interesse hatten? Das Leben – ein Vabanquespiel. Inspektorin Giuseppina Cardareto zwang sich zur Ruhe, selbst wenn ihre Umgebung am Überschäumen war. Sie mußte die Stärkere bleiben.
     
    Freundlicher Sonnenschein erwärmte den Wintermorgen, als sie am Fuß des Nanos das Wippach-Tal hinabfuhr. Seit zwei Stunden trat sie wie der Teufel in die Pedale, hatte bereits siebzig Kilometer hinter sich, Abhänge, Steigungen, Kurven bewältigt und fühlte sich ganz in ihrem Element. Doch diese Straße war in einem elenden Zustand und keine Traumstrecke für Radsportler. Jede Unebenheit schlug auf den Lenker, und Pina hatte alle Mühe, ihr angestrebtes Durchschnittstempo zu halten, ohne zu stürzen. Der Schwerlastverkehr, der wochentags die Strecke befuhr, hatte tiefe Spurrillen hinterlassen, der Asphalt sah aus wie ein Flickenteppich, und am Sonntag herrschte starker Ausflugsverkehr. Autos mit Ljubljaneser Kennzeichen oder aus Italien hupten sie immer wieder zur Seite. Pina beschloß, ihren Kurs bei der ersten Möglichkeit zu ändern, und traf bei Hrašče endlichauf eine Kreuzung, an der ein Schild die »Vinska Cesta« anzeigte, die enge, kaum befahrene Weinstraße durch den slowenischen Karst, unterhalb des kahlen Berges Nanos, der sich weit über die Gegend erhob und die natürliche Wasserscheide zwischen Adria und Donau bildete. Sein Gipfel trug schon seit Wochen eine Schneehaube, im Tal hingegen war die Temperatur angenehm. Pina hatte keine Straßenkarte dabei, obwohl es das erste Mal war, daß sie die Strecke nahm. Irgendwann würde sie schon in der kleinen Stadt Vipava herauskommen, wo sie auf dem Friedhof zwei viereinhalbtausend Jahre alte ägyptische Sarkophage anschauen wollte, um anschließend über Nova Gorica zurück nach Italien zu radeln.
    Statt dessen saß sie mit einer blutenden Ferse inmitten einer weitläufigen winterwelken Wiese auf einem vier Meter hohen Heuhaufen und hatte Schiß vor einem Kampfhund, der plötzlich spurlos verschwunden war. Ratlos schaute sie auf das graue Display ihres Mobiltelefons und blätterte den Speicher durch. Wen konnte sie anrufen? Drüben, auf der anderen Seite der Grenze, hätte sie die Kollegen verständigt, doch hier kannte sie nicht einmal die Notrufnummer der slowenischen Polizei.
     
    *
     
    Den teuren Sportschuh, den der Ladeninhaber extra für sie hatte bestellen müssen, weil er Größe35 nicht am Lager führte, konnte sie vergessen. Das Gebiß des Hundes hatte tiefe Narben ins Leder geprägt, wobei die Verstärkung an der Ferse wenigstens das Schlimmste verhindert hatte. Nur die Reißzähne waren wie Butter durch den Schuh in ihren Fuß gedrungen und hatten vermutlich sogar das Fersenbein erwischt. Der Schmerz pochte mit jedem Pulsschlag, und ganz sicher müßte sie sich auf Tollwutverdacht behandeln lassen.Behelfsmäßig verband Pina die Wunde mit einem Taschentuch und versuchte aufzustehen. Noch einmal suchte sie mit zusammengekniffenen Augen die ganze Umgebung ab und faßte schließlich den Mut, sich vorsichtig auf die Wiese gleiten zu lassen. Sie stieß einen Zischlaut durch die Zähne, als sie den Boden unter den Füßen spürte. Wenn sie mit dem Ballen auftrat,
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