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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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sich vor, es würde ihn jemand hereinbitten. Dann öffnete er die Tür und machte Licht. Im Bett lag seine Tanzpartnerin. Er wunderte sich immer, daß sie so lebendig aussah, obwohl sie nur eine Puppe war. Er zog ihr die Decke weg und hob sie hoch. Sie trug eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock. Er hatte ihr den Namen Esmeralda gegeben. Auf dem Tisch neben dem Bett standen Parfümflaschen. Er stellte Esme-ralda ab, wählte einen diskreten Duft von Dior und besprühte vorsichtig ihren Hals. Wenn er die Augen schloß, bestand kein Unterschied zwischen der Puppe und einem lebendigen Menschen.
    Er eskortierte sie ins Wohnzimmer. Er hatte oft daran gedacht, sämtliche Möbel hinauszustellen, Lampen mit gedämpftem Licht an der Decke anzubringen und eine brennende Zigarre in einen Aschenbecher zu legen. Dann hätte er seinen eigenen argentinischen Tanzsalon. Aber dazu war es nie gekommen. Er hatte nur den freien Fußboden zwischen dem Tisch und dem Bücherregal, auf dem der CD-Spieler stand. Er schob seine Schuhe in die Bügel, die unter Esmeraldas Füßen angebracht waren.
    Dann begann er zu tanzen. Wenn er sich mit Esmeralda drehte, kam es ihm so vor, als sei es ihm gelungen, alle Schemen aus dem Raum zu vertreiben. Er tanzte sehr leicht. Von allen Tänzen, die er über die Jahre hinweg gelernt hatte, lag ihm Tango am meisten. Es gab niemanden sonst, mit dem er so gut tanzen konnte wie mit Esmeralda. Einmal hatte es in Boras eine Frau gegeben, Rosemarie, die einen Hutladen unterhielt. Mit ihr hatte er Tango getanzt, und keine Frau hatte sich je so gut führen lassen. Eines Tages, gerade als er sich fertig gemacht hatte, um sich mit ihr in einem Tanzclub in Göteborg zu treffen, erfuhr er, daß sie bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Er hatte noch mit anderen Frauen getanzt. Aber erst nachdem er Esmeralda angefertigt hatte, gewann er das Gefühl zurück, das er mit Rosemarie gehabt hatte.
    Die Idee hatte er vor vielen Jahren bekommen, als er in einer seiner schlaflosen Nächte durch Zufall im Fernsehen ein altes Musical gesehen hatte. Darin tanzte ein Mann, vielleicht war es Gene Kelly, mit einer Puppe. Er hatte die Szene fasziniert betrachtet und sich sofort entschlossen, eine eigene Puppe anzufertigen.
    Das schwierigste war die Füllung gewesen. Er hatte alles ausprobiert und verschiedene Stoffe in das Futteral gestopft. Aber erst als er es mit Schaumgummi gefüllt hatte, fühlte es sich an, als hielte er einen lebendigen Menschen in seinen Armen. Er hatte sich dafür entschieden, ihr einen großen Busen und ein kräftiges Hinterteil zu geben. Seine beiden Frauen waren mager gewesen. Jetzt hatte er sich eine Frau gegeben, bei der man etwas in den Händen hielt. Wenn er mit ihr tanzte und den Duft des Parfüms wahrnahm, konnte es ihn erregen. Allerdings nicht mehr so häufig wie noch vor fünf oder sechs Jahren. Sein erotisches Verlangen ließ allmählich nach, und er dachte, daß er es eigentlich nicht vermißte.
    Er tanzte über eine Stunde. Als er Esmeralda schließlich ins Gästezimmer brachte und ins Bett legte, war er durchgeschwitzt. Er zog sich aus, hängte den Anzug in den Kleiderschrank zurück und duschte. Bald würde die Morgendämmerung hereinbrechen, und er konnte sich hinlegen und schlafen. Wieder hatte er eine Nacht bezwungen.
    Er zog den Morgenrock an und goß sich Kaffee ein. Das Thermometer zeigte immer noch zwei Grad unter Null. Er berührte die Gardine. Shaka bellte ein paarmal kurz auf. Er dachte an den Wald, der ihn umgab. Genau davon hatte er geträumt. Ein einsam gelegener Hof, modern, aber ohne Nachbarn. Ein Haus, das außerdem am Ende eines Weges lag. Schließlich war es ihm gelungen, das Gesuchte zu finden. Es war ein geräumiges Haus. Solide gebaut und mit einem großen Wohnzimmer, das seinem Bedürfnis nach einem Tanzboden entsprach. Der Verkäufer war ein pensionierter Jagdmeister, der nach Spanien gezogen war.
    Er setzte sich an den Küchentisch und trank seinen Kaffee. Die Dämmerung brach an. Bald würde er sich ins Bett zwischen die Laken legen und schlafen. Die Schatten würden ihn in Ruhe lassen.
    Shaka bellte einmal auf. Er lauschte. Das Bellen wiederholte sich. Dann wurde es still. Wahrscheinlich ein Tier. Ein Hase. Shaka bewegte sich frei in seinem Zwinger. Der Hund bewachte ihn.
    Er wusch die Tasse ab und stellte sie neben den Herd. In sieben Stunden würde er sie wieder benutzen. Er fand es nicht gut, unnötig die Tasse zu wechseln. Er konnte dieselbe Tasse
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