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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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nicht mehr.
    Er konnte nicht wissen, was am Ende mit ihm geschah. Daß er nackt hinaus an den Waldrand gezogen und dort liegengelassen wurde. Das Gesicht der kalten Erde zugedreht.
    Da war die Dämmerung angebrochen.
    Es war der 19. Oktober 1999. Einige Stunden später begann ein Regen zu fallen, der langsam, fast unmerklich in nassen Schnee überging.
    Stefan Lindman war Polizeibeamter. Mindestens einmal jedes Jahr war er in Situationen geraten, in denen die Angst ihn gepackt hatte. Einmal war er von einem Psychopathen, der über hundert Kilo wog, zu Boden geworfen worden. Er hatte den Mann rittlings über sich gehabt und sich mit wachsender Verzweiflung dagegen zur Wehr gesetzt, daß die groben Hände des Mannes ihm den Kopf abrissen. Hätte nicht einer seiner Kollegen den Mann mit einem mächtigen Schlag an den Kopf außer Gefecht gesetzt, es wäre vorbei gewesen. Ein andermal war auf ihn geschossen worden, als er an eine Tür geklopft hatte, um einen Familienstreit zu schlichten. Der Schuß aus einer Mauser hatte sein Bein gestreift. Aber er hatte noch nie solche Angst gehabt wie heute, am 25. Oktober 1999, als er in seinem Bett lag und an die Decke starrte.
    Er hatte in der Nacht fast nicht geschlafen. Dann und wann war er in einen leichten Schlummer gefallen, aus dem er aber, von Alpträumen geplagt, sofort wieder aufschreckte. Aus schierer Ohnmacht war er schließlich aufgestanden und hatte sich vor den Fernseher gesetzt und einen Sender gesucht, der einen Porno zeigte. Doch nach einer Weile hatte er den Fernseher angewidert ausgeschaltet und war wieder ins Bett gegangen.
    Um sieben Uhr stand er auf. In der Nacht hatte er einen Plan entwickelt. Einen Plan, der zugleich eine Beschwörung war. Er würde nicht direkt den Hügel zum Krankenhaus hinaufgehen. Er würde die Zeit so einteilen, daß er nicht nur einen Umweg machen konnte, sondern auch noch die Möglichkeit hätte, zweimal um das Krankenhaus herumzugehen. Ununterbrochen würde er nach Zeichen dafür Ausschau halten, ob der Bescheid, den er vom Arzt bekommen sollte, positiv war.
    Um sich eine letzte Kraftinjektion zu geben, würde er in der Cafeteria des Krankenhauses einen Kaffee trinken und sich zwingen, ruhig die Lokalzeitung durchzulesen.
    Ohne darüber nachgedacht zu haben, zog er seinen besten Anzug an. Normalerweise, wenn er nicht die Uniform oder andere Arbeitskleidung trug, ging er in Jeans und Pullover. Aber jetzt hatte er das Gefühl, der Anzug sei notwendig. Während er die Krawatte band, betrachtete er sein Gesicht im Badezimmerspiegel. Es war ihm anzusehen, daß er seit Wochen nicht richtig geschlafen und kaum gegessen hatte. Seine Wangen waren eingefallen. Außerdem hätte er sich die Haare schneiden lassen sollen. Er konnte es nicht leiden, wenn seine Haare über die Ohren ragten.
    Ihm gefiel das Gesicht überhaupt nicht, das er an diesem Morgen im Spiegel erblickte. Es war ein ungewöhnliches Gefühl. Er war eitel und betrachtete sich oft im Spiegel. Im Normalfall gefiel ihm sein Aussehen. Sein Spiegelbild versetzte ihn meistens in gute Laune. Aber an diesem Morgen war alles anders.
    Nachdem er sich angezogen hatte, trank er eine Tasse Kaffee. Er deckte Brot und Aufschnitt, konnte aber nichts essen.
    Er hatte um Viertel vor neun einen Termin beim Arzt bekommen. Jetzt war es sieben Uhr siebenundzwanzig. Also hatte er noch eine Stunde und achtzehn Minuten für seinen Spaziergang zum Krankenhaus.
    Als er auf die Straße trat, bemerkte er den Nieselregen.
    Stefan Lindman wohnte mitten in Boras. In der Alleegata. Vor drei Jahren hatte er in Sjömarken gewohnt, außerhalb der Stadt. Aber durch Zufall hatte er diese Dreizimmerwohnung angeboten bekommen und nicht gezögert, den Mietvertrag zu unterschreiben. Auf der anderen Straßenseite lag das Hotel Vävaren. Jetzt konnte er zu Fuß ins Polizeipräsidium gehen. Sogar zum Ryavallen konnte er zu Fuß gehen, wenn Elfsborg ein Heimspiel hatte. Neben seiner Arbeit galt dem Fußball sein größtes Interesse. Auch wenn er es niemandem erzählte, sammelte er immer noch Bilder und Zeitungsausschnitte über Elfsborg in einer Mappe. In seinen Tagträumen stellte er sich vor, er wäre Fußballprofi in Italien. Nicht Polizist. Die Träume waren ihm peinlich, aber es gelang ihm nicht, sie abzuschütteln.
    Er stieg die Treppen zur Stengärdsgata hinauf und ging danach weiter Richtung Stadttheater und Gymnasium. Ein Polizeiwagen fuhr vorbei. Die Kollegen darin sahen ihn nicht. Die Angst schlug zu. Es war ihm,
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