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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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als sei er bereits fort. Bereits tot. Er zog die Jacke fester um sich. Nichts sprach eigentlich dafür, daß er einen positiven Bescheid erhalten würde. Er erhöhte sein Schrittempo. Die Regentropfen, die sein Gesicht streiften, erinnerten ihn ans Leben. Sein Leben. Das verstrich.
    Er war siebenunddreißig Jahre alt. Seit er die Polizeihochschule verlassen hatte, arbeitete er in Boras, und genau das hatte er auch tun wollen. Er war in Kinna geboren und in einer Familie mit drei Kindern aufgewachsen. Der Vater hatte Gebrauchtwagen verkauft, und die Mutter arbeitete in einer Bäckerei. Stefan war das jüngste der Geschwister, fast ein Nachzügler. Seine beiden Schwestern waren sieben und neun Jahre älter.
    Wenn Stefan an seine Kindheit zurückdachte, kam sie ihm seltsam ereignislos und langweilig vor. Ein Leben in Geborgenheit mit einem festen Rahmen. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater verreisten nicht gern. Eine Fahrt nach Boras oder Varberg war für sie das höchste der Gefühle. Schon Göteborg war zu groß und zu weit und zu erschreckend. Seine Schwestern hatten gegen das Leben, das sie führten, aufbegehrt und das Elternhaus früh verlassen. Die eine war nach Stockholm gegangen, die andere nach Helsinki. Die Eltern empfanden das als Niederlage, und Stefan erkannte, daß von ihm geradezu verlangt wurde, in Kinna zu bleiben. Oder zumindest dorthin zurückzukehren, wenn er entschieden hatte, wie er sein Leben gestalten wollte. Als Teenager war er rastlos und unruhig gewesen und hatte überhaupt nicht gewußt, in welche Richtung er sich wenden sollte.
    Dann lernte er durch Zufall einen jungen Mann kennen, der sein Leben als Motocrossfahrer verbrachte. Er wurde dessen Assistent und tingelte einige Jahre in Mittelschweden von Rennbahn zu Rennbahn. Schließlich hatte er es satt und kehrte nach Kinna zurück, wo ihn seine Eltern fast triumphierend empfingen. Der verlorene Sohn war heimgekehrt. Er sah ein, daß er überhaupt nicht wußte, wie oder womit er sein Leben verbringen wollte. Wiederum durch einen Zufall lernte er einen Polizisten aus Malmö kennen, der bei gemeinsamen Bekannten in Kinna zu Besuch war. Und in Stefan wurde ein Gedanke geboren. Vielleicht sollte er Polizist werden? Er dachte einige Tage darüber nach und entschloß sich dann, es zumindest zu versuchen.
    Seine Eltern nahmen die Mitteilung mit beherrschter Sorge auf. Aber Stefan wies darauf hin, daß es auch in Kinna Polizisten gab. Er müßte nicht wegziehen.
    Er fing sofort an, seinen Entschluß in die Tat umzusetzen. Als erstes drückte er wieder die Schulbank, um das Abitur nachzumachen. Weil er motiviert war, fiel es leichter, als er geglaubt hatte. Um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, übernahm er dann und wann in Schulen Vertretungen als Hausmeister.
    Zu seiner Verwunderung wurde er bereits beim ersten Versuch an der Polizeihochschule angenommen. Die Ausbildung bereitete ihm keine Probleme. Er zeichnete sich in keiner Weise besonders aus, gehörte aber doch zur besseren Hälfte seines Jahrgangs. Anschließend kehrte er in Uniform nach Kinna zurück und konnte berichten, daß er in Boras arbeiten würde, nur vierzig Kilometer entfernt.
    In den ersten Jahren pendelte er zwischen Kinna und Boras. Aber als er sich in eines der Büromädchen im Polizeipräsidium verliebt hatte, zog er nach Boras. Sie wohnten drei Jahre zusammen. Dann erklärte sie eines Tages, sie habe einen Mann aus Trondheim getroffen und wolle dorthin ziehen.
    Stefan trug es mit Fassung. Er sagte sich, daß ihre Beziehung bereits begonnen hatte, ihn zu langweilen. Worüber er jedoch viel nachgrübelte, war, wie sie einen anderen Mann hatte treffen und ein Verhältnis mit ihm beginnen können, ohne daß er etwas davon geahnt hatte.
    Er war dreißig geworden, ohne es richtig bemerkt zu haben.
    Dann starb sein Vater plötzlich an einem Herzinfarkt, und ein paar Monate später folgte ihm seine Mutter. Am Tag nach ihrer Beerdigung setzte er eine Kontaktanzeige in die Boras Tidning. Er erhielt vier Antworten und traf die Frauen der Reihe nach. Eine von ihnen war eine Polin, die schon seit vielen Jahren in Boras lebte. Sie hatte zwei erwachsene Kinder und arbeitete in der Cafeteria des Gymnasiums. Sie war fast zehn Jahre älter als er, aber der Unterschied war ihnen eigentlich nie aufgefallen. Zunächst verstand er nicht, warum er sich sofort in sie verliebte, von ihr gefesselt war. Dann sagte er sich, daß es daran lag, daß sie vollkommen normal war. Sie nahm das Leben
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