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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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hinter ihnen. Die Maschine war auf dem Weg zurück nach England. Es war ein guter Tag gewesen. Keiner der Gefangenen hatte sich gesträubt, als man sie zum Galgen führte. Kein Kopf war vom Rumpf getrennt worden.
    Davenport war zufrieden. Jetzt konnte er sich auf drei freie Tage freuen. Dann würde er in Manchester einen Mörder hinrichten.
    Er saß auf dem harten Stuhl und schlief ein, obwohl unmittelbar neben ihm die Motoren dröhnten.
    Mike Garbett fragte sich immer noch, wer wohl sein Passagier war.
Teil 1
    HÄRJEDALEN
    Oktober - November 1999
    Nachts lag er wach, von Schemen umgeben. Es hatte angefangen, als er zweiundzwanzig Jahre alt war. Jetzt war er sechsundsiebzig. Seit vierundfünfzig Jahren verbrachte er seine Nächte schlaflos. Und immer waren die Schatten um ihn gewesen. Nur in Perioden, in denen er große Mengen starker Schlafmittel genommen hatte, war es ihm gelungen, nachts zu schlafen. Aber wenn er erwachte, wußte er, daß die Schemen dennoch dagewesen waren, auch wenn er nichts von ihnen gemerkt hatte.
    Die Nacht, die gerade zu Ende ging, war keine Ausnahme gewesen. Er brauchte nicht darauf zu warten, daß die Schatten, oder die Besucher, wie er sie manchmal nannte, auftauchten. Sie erschienen ein paar Stunden nach Einbruch der Dunkelheit. Plötzlich waren sie ganz dicht bei ihm. Mit ihren stummen weißen Gesichtern. Nach all den Jahren hatte er sich an ihre Gegenwart gewöhnt. Aber er wußte, daß er ihnen nicht vertrauen durfte. Eines Tages würden sie nicht mehr schweigen. Was dann passieren würde, konnte er nicht sagen. Würden sie ihn angreifen? Ihn entlarven? Es war vorgekommen, daß er sie angeschrien hatte. Daß er um sich geschlagen hatte, um sie zu verjagen. Für einige Minuten war es ihm gelungen, sie auf Abstand zu halten. Doch sie waren zurückgekommen und bis zur Morgendämmerung geblieben. Erst da hatte er einschlafen können, wenn auch meistens nur für ein paar Stunden, denn er mußte einer Arbeit nachgehen.
    Sein ganzes erwachsenes Leben hindurch war er müde gewesen. Wie er immer durchgehalten hatte, wußte er nicht. Wenn er auf sein Leben zurückblickte, sah er eine sich endlos hinziehende Reihe von Tagen, durch die er sich nur mühsam geschleppt hatte. Seine Erinnerungen hingen alle in irgendeiner Weise mit seiner Müdigkeit zusammen. Zuweilen dachte er an Fotos, die ihn zeigten. Er sah immer gleich verwüstet aus. Auch in der Zeit seiner beiden Ehen hatten die Schatten ihre Rache gefordert. Die Frauen waren seiner ständigen Ängste überdrüssig geworden. Und daß er stets schlafen wollte, wenn er nicht arbeiten mußte. Sie hatten es nicht mehr ertragen, daß er Nacht für Nacht wach gelegen und nie darauf geantwortet hatte, warum er nicht schlief wie normale Menschen. Schließlich hatten sie ihn verlassen, und er war wieder allein gewesen.
    Er blickte auf seine Armbanduhr. Es war Viertel nach vier. Er ging in die Küche und goß sich aus der Thermoskanne Kaffee ein. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte zwei Grad unter Null. Es war locker und würde bald abfallen, wenn er die Schrauben nicht auswechselte. Als er die Gardine berührte, bellte draußen im Dunkeln der Hund. Shaka war seine einzige Sicherheit. Den Namen des Elchhundes hatte er in einem Buch gefunden, an dessen Titel er sich nicht mehr erinnerte. Es ging darin um einen mächtigen Zuluhäuptling, und er meinte, daß der Name gut zu einem Wachhund paßte. Er war kurz und leicht zu rufen. Er nahm die Kaffeetasse mit ins Wohnzimmer und warf einen Blick auf das Fenster. Die dicken Gardinen waren dicht zusammengezogen. Er wußte, daß es so war, aber er mußte dennoch kontrollieren, daß alles seine Ordnung hatte.
    Dann setzte er sich an den Tisch und betrachtete die Puzzleteile, die verstreut vor ihm lagen. Es war ein gutes Puzzle mit vielen Teilen, und es bedurfte großer Phantasie und Ausdauer, um es zu vollenden. Wenn er mit einem Puzzle fertig war, verbrannte er es und begann sofort mit einem neuen. Er achtete immer darauf, daß er einige Spiele auf Lager hatte. Er hatte oft gedacht, daß sein Verhältnis zu Puzzlespielen ungefähr dem eines Rauchers zu Zigaretten glich. Seit vielen Jahren war er Mitglied einer weltweiten Vereinigung, die die internationale Puzzlekultur hochhielt. Sie hatte ihren Sitz in Rom und er bekam jeden Monat ein Mitgliedsblatt, das über Hersteller informierte, die aufgehört hatten, und andere, die neu begannen. Schon Mitte der siebziger Jahre hatte er bemerkt, daß es schwerer wurde,
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