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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers
Autoren: Henning Mankell
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Heider, Volkenrath, Grese... Insgesamt waren es zwölf Namen. Drei Frauen und neun Männer. Er studierte die Angaben über ihr Gewicht und ihre Größe und machte sich Notizen. Es dauerte lange, weil sein Berufsstolz von ihm forderte, daß er höchste Genauigkeit walten ließ. Erst gegen halb zwei legte er den Stift zur Seite.
    Jetzt hatte er sich alles klargemacht. Er hatte seine Berechnungen durchgeführt und dreimal kontrolliert, daß er nichts übersehen hatte. Er stand auf, ging zum Bett und öffnete den Koffer. Obwohl er wußte, daß er nie etwas vergaß, kontrollierte er, ob alles an seinem Platz war. Er nahm ein sauberes Hemd heraus, schloß den Koffer und wusch sich dann mit dem kalten Wasser, das alles war, was das Hotel zu bieten hatte.
    Er hatte nie Probleme einzuschlafen. Auch in dieser Nacht nicht.
    Als um kurz nach fünf an seine Tür geklopft wurde, war er schon aufgestanden und fertig angezogen. Nach einem schnellen Frühstück fuhren sie durch die dunkle Ortschaft zum Gefängnis. Sergeant MacManaman war bereits da. Er war sehr blaß, und Davenport fragte sich, ob er wohl durchhalten würde. Aber Stuckford, der sich ihnen angeschlossen hatte und Davenports Besorgnis zu ahnen schien, nahm ihn beiseite und versicherte ihm, daß MacManaman zwar mitgenommen aussehe, aber bestimmt durchhalten würde.
    Um elf Uhr waren alle Vorbereitungen abgeschlossen. Da-venport hatte sich entschlossen, mit den Frauen anzufangen. Weil ihre Zellen in dem Korridor lagen, der dem Galgen am nächsten war, würden sie das Geräusch hören, das beim Öffnen der Falluke entstand. Das wollte er ihnen ersparen. Davenport kümmerte es nicht, welche Verbrechen die einzelnen Gefangenen begangen hatten. Es war lediglich seine eigene Anständigkeit, die von ihm verlangte, mit den Frauen zu beginnen.
    Alle, die der Hinrichtung beiwohnen sollten, hatten ihre Plätze eingenommen. Davenport nickte Stuckford zu, der seinerseits einer der Wachen ein Zeichen gab. Es waren einzelne Kommandoworte zu hören, Schlüssel rasselten, eine Zellentür wurde geöffnet, Davenport wartete.
    Die erste, die kam, war Irma Grese. Einen kurzen Augenblick schlich sich ein Gefühl der Verwunderung in Davenports kühles Herz. Wie konnte diese magere blonde Zweiundzwan-zigjährige im Konzentrationslager Bergen-Belsen Gefangene zu Tode gepeitscht haben? Sie war kaum mehr als ein Kind.
    Aber als ihr Todesurteil gefällt worden war, hatte niemand gezögert. Sie war ein Ungeheuer gewesen, und jetzt sollte sie sterben. Sie begegnete seinem Blick und sah dann zum Galgen auf. Die Wachen führten sie die Stufen hinauf. Davenport richtete ihre Beine so aus, daß sie genau über der Falluke waren. Während er ihr die Schlinge um den Hals legte, kontrollierte er gleichzeitig, daß MacManaman den Ledergürtel um ihre Beine richtig anzog. Als Davenport ihr die Kapuze über den Kopf zog, hörte er sie mit kaum vernehmbarer Stimme ein einziges Wort sagen.
    »Schnell!«
    MacManaman war einen Schritt zurückgetreten und Davenport streckte sich nach dem Hebel, mit dem er die Falluke betätigte. Die Frau fiel senkrecht nach unten, und Davenport wußte, daß er die Länge des Seils richtig berechnet hatte. Lang genug, daß der Nackenwirbel brach, aber nicht so lang, daß der Kopf vom Körper getrennt wurde. Zusammen mit MacMana-man ging er unter das Gestell, auf dem der Galgen stand, und machte den Körper los, nachdem der britische Militärarzt Irma Greses Tod festgestellt hatte. Die Leiche wurde fortgeschafft. Davenport wußte, daß in der harten Erde des Gefängnishofes bereits Gräber ausgehoben waren. Er stieg wieder aufs Schafott und kontrollierte in seinen Papieren, welche Seillänge er der nächsten Frau zugedacht hatte. Als alles bereit war, nickte er Stuckford erneut zu, und kurz darauf stand Elisabeth Volkenrath mit auf den Rücken gebundenen Händen in der Tür. Sie war auf die gleiche Weise gekleidet wie Irma Grese. In ein graues Kleid, das ihr bis über die Knie reichte.
    Drei Minuten später war auch sie tot.
    Die Hinrichtung aller Personen nahm zwei Stunden und sieben Minuten in Anspruch. Davenport hatte mit zwei Stunden und fünfzehn Minuten gerechnet. MacManaman hatte seine Aufgabe zufriedenstellend ausgeführt. Alles war nach Plan verlaufen. Zwölf deutsche Kriegsverbrecher waren hingerichtet worden.
    Davenport packte das Seil und die Lederriemen in den schwarzen Koffer und verabschiedete sich von Sergeant
    MacManaman. »Trinken Sie ein Glas Cognac«, sagte er.
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