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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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Tochter im Clinch miteinander. Ich wollte nicht, dass sie bei einer Mutter aufwuchs, die nachts in den Casinos arbeitete. Ich wollte nicht, dass sie bei Burger King zu Abend aß. Und ich wollte nicht, dass sie das Leben in einer Stadt kennen lernte, die aus ihren Lastern kein Hehl machte.
    Aber ich war nicht in der Lage, daran etwas zu ändern. Ich weiß, ich laufe Gefahr, mich lächerlich zu machen, denn ich lebe an einem Ort, wo die Willkür von Verbrechen und Chaos nie weit ist und wo im wahrsten Sinn des Wortes Gift in der Luft liegt. Trotzdem finde ich es nicht gut, dass meine Tochter dort aufwächst, wo sie ist. Ich sehe es als den feinen Unterschied zwischen Hoffnung und Sehnsucht. Los Angeles ist ein Ort, der von der Hoffnung lebt, und daran ist immer noch etwas Unverfälschtes. Es hilft einem, durch die verschmutzte Luft zu sehen. Las Vegas ist anders. In meinen Augen lebt es von der Sehnsucht, und diese Straße führt zu einem unwiederbringlich gebrochenen Herzen. Das möchte ich meiner Tochter ersparen. Ich will es sogar ihrer Mutter ersparen. Ich bin bereit zu warten, aber nicht so lange. Je mehr Zeit ich mit meiner Tochter verbringe, je besser ich sie kennen lerne und je mehr ich sie liebe, desto mehr zerfasert meine Bereitschaft in der Mitte wie eine Seilbrücke, die einen tiefen Abgrund überspannt.
    Als Maddie ihrer Mutter das Telefon zurückgab, hatte keiner von uns viel zu sagen, weshalb wir das auch nicht taten. Ich sagte nur, ich würde bei der nächsten Gelegenheit bei Maddie vorbeikommen, und wir legten auf. Als ich das Telefon beiseite legte, spürte ich einen Schmerz in meinem Innern, an den ich nicht gewöhnt war. Es war nicht der Schmerz von Einsamkeit oder Leere. Diesen Schmerz kannte ich, und ich hatte gelernt, mit ihm zu leben. Es war der Schmerz, der mit der Angst davor kam, was die Zukunft für jemanden bereithielt, der einem so kostbar war, für jemanden, für den man ohne Zögern sein Leben gäbe.

6
    A
    m nächsten Morgen brachte mich die erste Fähre um 9.30 Uhr nach Catalina. Da ich Graciela McCaleb auf der Überfahrt mit dem Handy angerufen hatte, wartete sie an der Anlegestelle auf mich. Der Tag war sonnig und frisch, und ich konnte den Unterschied in der smogfreien Luft riechen. Graciela lächelte mich an, als ich mich dem Tor näherte, wo Leute auf Ankömmlinge von den Booten warteten.
    »Guten Morgen. Schön, dass Sie gekommen sind.«
    »Kein Problem. Schön, dass Sie sich Zeit für mich nehmen.«
    Halb hatte ich erwartet, dass Buddy Lockridge bei ihr wäre. Ich hatte ihn auf der Fähre nicht gesehen und dachte, er sei vielleicht schon am Abend zuvor herübergefahren.
    »Ist Buddy noch nicht da?«
    »Nein. Kommt er denn auch her?«
    »Ich wollte mir auf dem Boot alles mit ihm ansehen. Er sagte, er würde mit der ersten Fähre rüberkommen, aber er ist nicht aufgetaucht.«
    »Na ja, es gehen zwei Fähren. Die nächste kommt in fünfundvierzig Minuten an. Wahrscheinlich nimmt er die. Was möchten Sie als Erstes tun?«
    »Ich würde mir gern das Boot ansehen, dort anfangen.«
    Wir gingen zum Tenderkai und fuhren mit einem Schlauchboot mit einem kleinen 1-PS-Außenborder in das Becken hinaus, wo die an schwimmenden Ankerbojen festgemachten Jachten synchron in der Strömung dümpelten. Terrys Boot, The Following Sea, war das zweite von hinten in der zweiten Reihe. Mich überkam ein ungutes Gefühl, als wir darauf zufuhren und schließlich am Heckspiegel anlegten. Auf diesem Boot war Terry gestorben. Mein Freund und Gracielas Mann. Früher war es für mich fast eine Selbstverständlichkeit gewesen, einen emotionalen Bezug zu einem Fall zu finden oder herzustellen. Es trug dazu bei, das Feuer zu schüren, und verhalf mir zum nötigen Biss, dorthin zu gehen, wohin ich gehen musste, und das zu tun, was ich tun musste. In diesem Fall musste ich nicht nach diesem Bezug suchen. Es bestand keine Notwendigkeit, ihn herzustellen. Er war bereits Teil der Abmachung. Der Hauptbestandteil.
    Ich sah auf den Namen des Boots, der in schwarzer Schrift aufs Heck geschrieben war, und dachte daran, wie Terry ihn mir einmal erklärt hatte. Er hatte mir gesagt, eine following sea, eine von hinten kommende See, sei die Welle, auf die man achten müsse. Sie kam im toten Winkel an, brach von hinten über einen herein. Eine gute Philosophie. Doch jetzt musste ich mich fragen, warum Terry nicht gesehen hatte, was und wer von hinten auf ihn zugekommen war.
    Unsicher stieg ich vom Schlauchboot auf den
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