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Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman

Titel: Die roten Blueten von Whakatu - Ein Neuseeland-Roman
Autoren: Inez Corbi
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herum. »Wie können Sie es wagen …?«
    Er verstummte, als er sah, dass die anderen Frauen dem Beispiel folgten und sich nun ebenfalls bückten und bewaffneten. Mit weiteren Steinen, Erdklumpen oder Schuhen – was sie eben zu greifen bekamen.
    »Steinigt ihn!«
    »Gebt ihm das, was er verdient!«
    Schon flogen weitere Wurfgeschosse.
    Seip schrie auf und hielt sich die Hand, wo ihn ein kleiner Stein getroffen hatte. »Sie … Sie sind ja verrückt geworden!«
    Angstvoll wich er zurück, von einem Finger tropfte Blut.
    »Meine Damen, bitte!« Pastor Heines Stimme klang entsetzt, als er herbeieilte und sich vor Seip stellte.
    Von den Frauen kam wütendes Geschrei.
    »Gehen Sie aus dem Weg, Pastor!«
    »Weg da, er hat es verdient!«
    »Helfen Sie mir, Pastor«, jammerte Seip hinter ihm.
    »Meine Damen«, rief Heine. »Ich verstehe Ihren Zorn, aber Sie wollen doch nicht wirklich … Wie steht es schon in der Bibel? Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
    »Ja, ja, so ist es!« Seip drängte sich hinter den Pastor und versuchte, sich hinter ihm zu verstecken. Aber nun kamen die Frauen von beiden Seiten, umkreisten die beiden Männer. Seip keuchte auf und ließ den Pastor los.
    »Hilfe«, rief er. »Diese Bestien wollen mich umbringen! Wieso hilft mir denn niemand?«
    Er hatte recht: Niemand aus der Reihe der Zuschauer rührte sich. Niemand machte Anstalten, ihm zu helfen.
    Die Frauen kamen näher. Schweigend, drohend. Seip wich zurück, stolperte über eine Kuhle im Boden, fiel hin und rappelte sich wieder auf. Dann lief er auf die Umstehenden zu, als wolle er sich hinter ihnen verstecken. Doch kaum hatte er sie erreicht, teilte sich die Menge, ließ ihn durch. Jeder schien vermeiden zu wollen, ihn zu berühren. Die Gruppe erboster Frauen setzte ihm nach. Pastor Heine stieß einen ganz und gar ungehörigen Fluch aus und lief seinerseits den Frauen hinterher.
    Lina starrte ihnen nach. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder entsetzt sein sollte über das, was hier passierte. Dann ging ihr Blick zurück zu Alexander, der noch auf dem Spielfeld stand, beide Hände in die Seiten gestemmt. Er sah sie an, schüttelte den Kopf und grinste, und nach kurzem Zögern lächelte Lina zurück.

Kapitel 28
    Ein leichter Wind fuhr durch die Blätter, brachte sie zum Rascheln und trug einen Hauch vom Meer mit sich; Lina glaubte, ganz schwach die Wellen rauschen zu hören, die an den Strand schlugen. Über sich sah sie eine Möwe kreisen. Fast wie an der Ostsee.
    Mit den ersten Tagen des Mai hatte endgültig der Herbst Einzug gehalten in Nelson. Zwischen den vielen Bäumen mit immergrünen Blättern färbten sich nur wenige in einem hellen Gelbbraun. Eine kleine Gruppe hatte sich vor dem Haus der Trebans um einen Tisch und mehrere Stühle versammelt. Vermutlich war es das vorerst letzte Mal, um gemeinsam draußen zu sitzen. Bald würde es dafür zu kalt sein. Es war nur ein kleines Fest mit Familie, Freunden und Nachbarn, dennoch fühlte Lina sich um so vieles glücklicher als an ihrer Hochzeitsfeier vor sechs Wochen.
    In den vergangenen Tagen waren sie mehrmals in die Kelterhütte gegangen. Der Apfelmost hatte in den Fässern bald zu gären begonnen; einige Tage lang schäumte er und wie kleine Perlen stiegen Bläschen vom Boden aus auf. Danach sei es Zeit zum Umfüllen, erklärte Alexander. Lina half ihm dabei; Kelle um Kelle schöpften sie den gärenden Most in Flaschen; vorsichtig, um keine Hefe aufzurühren, die sich auf dem Boden des Fasses abgesetzt hatte. Dann wurden die Flaschen verschlossen; es würde noch ein paar Wochen dauern, bis der Apfelwein fertig sein würde.
    Für die heutige Feier hatte jeder etwas mitgebracht: Brot, Gemüse, gebratene Aale, Früchte. Lina hatte außerdem süße Krapfen in Fett ausgebacken.
    »Worauf trinken wir?«, fragte Fedor Kelling und hob seinen Bierkrug.
    »Darauf, dass wir schuldenfrei sind«, schlug Alexander vor.
    Lina schüttelte den Kopf. »Noch nicht ganz. Rieke und ich müssen immer noch die Kosten der Überfahrt bei Mr Kelling bezahlen, und …«
    »Aber, Lina«, unterbrach sie Fedor Kelling. »Sie wissen doch, dass ich Sie deswegen nicht dränge. Irgendwann werden Sie mir das Geld schon geben können. Wenn jeder meiner Schuldner so redlich wäre wie Sie, könnte ich besser schlafen.«
    Lina nickte ihm dankbar zu.
    »Trinken wir darauf, dass wir endlich diesen unmöglichen Seip los sind«, sagte Cordt Bensemann. »Und auf die armen Australier, die sich jetzt mit ihm
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