Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die rote Farbe des Schnees

Die rote Farbe des Schnees

Titel: Die rote Farbe des Schnees
Autoren: Evelyn Holmy
Vom Netzwerk:
schließen.
    Der Wald ist bereits ganz licht
geworden. Es zeugt von in der Nähe lebenden Menschen, die auf der Suche nach
Feuerholz und durch den Eintrieb von Schafen und Ziegen, die die jungen, zarten
Triebe der kleinen Bäumchen und Büsche bevorzugen, den Wald ausdünnen.
    Je näher Joan dem Waldrand
kommt, desto wärmer wird die Luft um sie herum. So streift sie den Mantel ab
und nimmt ihn über den Arm. Das Ziehen in ihrem Bauch reißt nicht ab. Sie kann
es nun nicht länger ignorieren. Stöhnend verharrt sie unter den letzten Bäumen,
mit deren Laub eine leichte Böe spielt, und blickt an einen Eichenstamm gelehnt
hinaus auf die sonnenbeschienene Wiese mit den uralten Weiden. Bedächtig nimmt
sie die Faust, mit welcher sie sowohl den Strohhalm als auch das Geldstück
umfasst hält, am ausgestreckten Arm nach vorn und öffnet sie langsam. Die warme
Böe erfasst den goldenen Halm und weht ihn hinaus in die lichtdurchflutete
Weite. Die Münzhälfte jedoch bleibt auf ihrer Handfläche liegen.
    Joan lächelt. Ulman wird sie
auch weiterhin in einem Winkel ihres Herzens begleiten. Doch es gehörte schon
immer Malcom, wie sie nun weiß.
    Als sie den Fuß ins weiche Gras
setzt, wird sie vom Zirpen der Grillen und dem Gezwitscher auffliegender
Feldlerchen begrüßt. Eine überraschende Hitze schlägt ihr entgegen, die ihr den
Schweiß auf die Stirn treibt. Er rührt wohl auch von der nächsten Wehe her, die
sie nun wieder schmerzhaft plagt. Am Horizont erkennt sie die väterliche Burg.
Ernüchtert gesteht sie sich ein, dass sie es wohl nicht mehr bis dorthin
schaffen wird und lenkt ihre Schritte den seichten Anstieg hinauf zum Weiher.
Unzählige Male muss sie hüftkreisend verharren, bis sie endlich die
Wasserfläche erspäht. Ihr stockt der Atem, als sie ein schwarzes Schlachtross
erblickt, das sich im spärlichen Gras unter den Weiden wonnevoll im Staub
wälzt. Eine dunkle Gestalt erhebt sich unter einem der Bäume und blickt ihr starr
entgegen.
    Joan weicht intuitiv einen
Schritt zurück. Er scheint sie erwartet zu haben. Sie atmet durch und
beobachtet, wie Malcom langsamen Schrittes auf sie zukommt. Gepeinigt verbeißt
sie sich den Schmerz der nächsten Wehe. Als er nur noch wenige Schritte von ihr
entfernt ist, zieht sie ihr Schwert und setzt ihm dessen Spitze auf die Brust.
Malcom bleibt stehen und blickt ihr betrübt entgegen. Er sieht schlecht aus,
ist bleich und abgemagert. Mit zwei Fingern drückt er die Klinge beiseite, um
vor ihr auf die Knie zu fallen. Er zieht sie an sich und lehnt das Gesicht
gegen ihren Bauch.
    „Verzeih mir“, raunt er, wobei
er sich eng an sie presst.
    Joan atmet durch. Sie lässt
Schwert und Mantel fallen und streicht ihm in zögerlicher Behutsamkeit übers
Haar.
    „Bitte verzeih mir, Joan“,
flüstert er kläglich, woraufhin sie eine durchsickernde Feuchte auf ihrem Bauch
spürt.
    „Bitte“, fleht er.
    „Ja“, schnieft sie. „Ich
verzeihe dir.“ Sie umschließt ihn mit ihren Armen. So verharren sie, bis sie
die nächste Wehe aufkeuchen und auf die Knie gehen lässt.
    Er blickt sie mit geröteten
Augen an, lehnt dann die Stirn gegen die ihre. „Ich will dich nicht verlieren.“
    Sie schüttelt den Kopf. „Ich
dich auch nicht.“ Sie spürt, wie ihr das warme Geburtswasser die Beine herabrinnt.
„Ich schaff das aber nicht allein, Malcom. ... Ich brauche dich.“
    Er betrachtet sie fragend und
wischt sich dabei das Gesicht mit den Ärmeln seiner Tunika trocken.
    „Ich dachte, wir hätten meine
bösen Geister vertrieben“, beginnt sie. „Aber so ist es nicht. ... Sie
versuchen, uns zu entzweien“, erklärt sie noch mühsam, bevor sie sich unter der
nächsten heranrollenden Wehe krümmt.
    Als sie wieder aufblickt,
starrt er sie an.
    „Malcom. Ich glaube, es kommt
bald“, raunt sie, womit sie ihn aus seinen Gedanken reißt. Behände erhebt er
sich und nimmt sie hoch. Er trägt sie zum Ufer, um sie dort behutsam ins Gras
zu setzen.
    Sie blicken sich an.
    Er kommt ganz nah heran und
küsst sie, streichelt versonnen ihre Wange. „Wir schaffen das, Joan.“
    Sie nickt lächelnd. Dann
schreit sie auf vor Schmerz. Nur undeutlich bemerkt sie, wie er ihr Bruech und
Beinlinge auszieht. Das Kind drückt gegen ihren Schritt. Es scheint es nicht
erwarten zu können, endlich das Licht der Welt zu erblicken. Die Schmerzen
lassen nach, um ihr eine kurze Pause zu gönnen.
    „Willst du ins Wasser“, fragt
er, worauf sie den Kopf schüttelt.
    „Es kommt gleich.“ Die
Geburtsgänge
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher