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Die rote Antilope

Die rote Antilope

Titel: Die rote Antilope
Autoren: Henning Mankell
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Stelle begruben und erst dann wieder an diesen Ort zurückkehrten, wenn sie sich nicht mehr exakt erinnerten, wo sich das Grab befand. Die Ochsen waren erstarrt, weil ein Grab vor ihnen lag. Und sie wären da stehengeblieben, bis sie umfielen, hätte er das Grab nicht entdeckt.

    Es war das Grab einer Frau. Obwohl nur Teile des Skeletts erhalten waren, konnte er erkennen, daß es eine Frau war, weil er den Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Beckenknochen kannte. Die Zähne im Kieferknochen waren ganz gesund. Die Nähte im Stirnbein des Schädels deuteten darauf hin, daß die Frau jung gewesen war, als sie starb. Ihn überkam eine plötzliche Lust, den Ochsentreibern dies alles zu erklären. Aber da er keine Sprache zur Verfügung hatte, ließ er es auf sich beruhen. Sie hoben in einer Entfernung von etwa fünfzig Metern ein Grab aus, brachten das Skelett dorthin und schaufelten es zu. Die Ochsen setzten sich wieder in Bewegung.

    An diesem Abend schrieb er einen langen Brief an Matilda. Ich habe entdeckt, daß ich ein sehr einsamer Mensch bin. Als ich an dem offenen Grab stand und das Skelett der Frau sah, die vermutlich sehr jung gestorben ist, war es, als bekäme ich endlich Gesellschaft. Das Gefühl ist sehr schwer zu verstehen, und ich zögere nicht zu sagen, daß es mich auch erschreckt. Seit achtundzwanzig Tagen habe ich nun ausschließlich Gespräche mit mir selber geführt. Innerhalb der nächsten achtundzwanzig Tage sollte mir ein Mensch begegnen, mit dem ich ein zivilisiertes Gespräch führen kann. Andernfalls fürchte ich, daß mich nicht die Wüste und die Hitze töten werden. Sondern die Einsamkeit.
    Neunzehn Tage später beobachteten sie wieder eine Gruppe von Buschmännern, die sich wie schwarze Punkte am Horizont bewegten. Am Tag darauf starb der erste Ochse. Sie schlachteten das Tier und blieben an der Stelle, wo er gestorben war. In der Nacht hörte er zum erstenmal Hyänen, die in der Dunkelheit lachten.

    Als er am Morgen aufwachte und aus dem Zelt trat, waren Neka und einer von den Konsonanten verschwunden. Sie hatten große Mengen Fleisch mitgenommen und die Hälfte des verbliebenen Wassers. Zum erstenmal hatte er einen Wutanfall bekommen und seinen Revolver abgefeuert. Er hatte direkt in die Sonne gezielt und dreimal geschossen. Die Ochsen waren unruhig geworden, aber Amos war es gelungen, sie zu beruhigen. Um nicht Gefahr zu laufen, in der Wüste allein zurückgelassen zu werden, hatte er an diesem Abend Zwangsmaßnahmen ergriffen. Er hatte sowohl Amos als auch den anderen Ochsentreiber an je einem Wagenrad festgebunden. Er war behutsam vorgegangen und war erstaunt gewesen, daß sie es zuließen. Mehrmals war er in der Nacht hochgeschreckt und aus dem Zelt gerannt, da er fürchtete, sie hätten sich befreit. Aber die Männer saßen da, an die Räder gelehnt. Und schliefen fest.

    Er begriff, daß die Wüste ihn bereits teilweise besiegt hatte. Jetzt folgte er nicht mehr den Karten. Sie gingen, wohin die Ochsen sie zogen. Bald würden Wasser und Nahrung aufgebraucht sein. Er machte eine Bestandsaufnahme und schrieb dann in einem Brief an Matilda seine Kalkulation nieder. Die Wahrheit ist jetzt sehr einfach. Wenn wir nicht innerhalb von zehn Tagen die Handelsstation erreichen, ist die Reise vorbei. Mein Besuch in der Kalahariwüste ist dann zu Ende. Die Frage ist, ob ich den Mut haben werde, mich zu erschießen, oder ob ich im Sand liegenbleiben werde, bis die Sonne mich zu Tode brennt.
    Abgesehen von dem Käfer hatte er zwei weitere Insekten gefunden. Einen Tausendfüßler, der beinahe zwanzig Zentimeter lang war, sowie einen Nachtfalter, der eines Morgens tot neben dem Lagerfeuer gelegen hatte. Beide Insekten hatte er mit Hilfe seiner Nachschlagewerke identifiziert. Er dachte, sein Museum sollte aus diesen drei Behältern bestehen. Jemand, der vielleicht irgendwann in der Zukunft den sandbedeckten Wagen fand, würde sich fragen, wer der Wahnsinnige gewesen sei, der in dieser Hölle aus Sand umhergeirrt war und Insekten in Gläsern gesammelt hatte, aus denen der Spiritus längst verdunstet war.

    In dieser Zeit fing er an, die Tage bis zum Ende zu zählen. Als sie nur noch drei Tage von dem Zeitpunkt entfernt waren, an dem Nahrungsmittel und Wasser aufgebraucht sein würden, bekam Amos hohes Fieber. Vierundzwanzig Stunden lang konnten sie sich nicht vom Fleck rühren. Amos phantasierte vor sich hin, jammerte wie ein kleines Kind, und Bengler war überzeugt, daß sie
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