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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo
Autoren: Carla Federico
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angeredet, der ihm nicht nur anbot, den Bart zu stutzen – sah der Banause denn nicht, dass er das bereits selbst getan hatte? –, sondern ihm obendrein alle möglichen Tiegelchen und Döschen vors Gesicht hielt, die Seifen, Duftwässer oder andere Artikel der Hautpflege beinhalteten. Albert schüttelte dankend den Kopf und sah sich sogleich neuen Flüchen ausgesetzt.
    Wieder seufzte er. Die Briten hatten ihn ja gewarnt, ihm nicht nur erzählt, wie dreist die Barbiere den eingesessenen Apotheken Konkurrenz machten, sondern dass sie völlig ungenießbare Liköre als vermeintlich magenstärkende Heilmittel verkauften.
    Nun, wenn er etwas hätte trinken wollen, hätte Albert eher zu so einem Likör gegriffen, als in eine der Chinganas einzukehren – finstere Spelunken, wo Trauben- und Zuckerbranntwein, der jeden wachen Geist benebelte, in Strömen floss und die Stühle und Tische derart verklebt und verdreckt waren, dass Albert lieber in den Kuhmist stieg, als dort Platz zu nehmen.
    Er eilte das Gässchen entlang in Richtung Hafen, wo es auch nicht viel ruhiger zuging. Die Mole war erst vor zwei Jahrzehnten neu errichtet worden, erwies sich aber längst als zu klein für die Schiffe, die mit immer größerem Tiefgang ausgestattet wurden. Deshalb wurde sie eben ausgebaut – und das unter lautstarkem Geschrei, von dem Albert nicht recht sagen konnte, ob es von dem Bauherrn stammte oder aufrührerischen Arbeitern. Und dort, wo diese ausnahmsweise schweigend ihren Dienst verrichteten, herrschte Streit um Anlegeplätze.
    Das Sprachenwirrwarr, das Albert traf, faszinierte und verunsicherte ihn gleichermaßen. Am häufigsten vernahm er neben der spanischen die französische und englische Sprache. Mit einem britischen Schiff hatte er selbst vor einigen Wochen angelegt – ein mühsames Unterfangen angesichts der argentinischen Belagerung. Der dortige Präsident wollte in seinem Nachbarland eine Regierung der Blancos etablieren, hieß es offiziell. Unter der Hand sprach allerdings jeder offen davon, dass es de Rosas weniger um Politik ging als vielmehr um den Handel: Was diesen anbelangte, stellte sein Nachbarland eine große Konkurrenz dar, die er gerne ausgeschaltet hätte.
    Doch auch die Belagerung hatte die rege Ein- und Ausfuhr von Leder und Fleisch nicht zum Erliegen gebracht. Die Franzosen und Engländer hielten mit ihren Kriegsschiffen den Hafen offen und gewährleisteten die Versorgung der Stadt, und falls sie einmal nicht rechtzeitig eingriffen, machten sich Montevideos Seemänner und Abenteurer wie Giuseppe Garibaldi einen Namen, indem sie die Seewege gegen die Argentinier verteidigten.
    Albert blickte auf das blau funkelnde Meer. So wie er selbst einst das fremde Land verherrlicht hatte, hier nun aber immer wieder in Kuhscheiße stieg, wurde auch der Freiheitskampf der belagerten Stadt in Europa hochstilisiert und Montevideo als neues Troja bezeichnet.
    Von wegen, dachte Albert. Gegen die Engländer haben die Argentinier ohnehin keine Chance, und was den freien Handel mehr bedroht als die Blockade, ist die fehlende ordnende Hand, die das Chaos bannt.
    Wieder tupfte er sich den Schweiß von der Stirn, als er in neuerliches Geschiebe und Gedränge rund um den Fischmarkt geriet. Angesichts der vielen und lauten Menschen konnte er sich schwer vorstellen, dass Montevideo vor wenigen Jahrzehnten kaum mehr als ein Dorf gewesen war und Einwanderer von den Kanarischen Inseln und den baskischen Regionen mit dem Versprechen vieler Privilegien angelockt werden mussten, um den Ort ein wenig zu beleben. Mittlerweile war die Einwohnerzahl längst auf hunderttausend angewachsen, und der Stadtkern platzte aus allen Nähten.
    Als Albert sein Spitzentaschentuch einsteckte, berührte er das lederne Notizbüchlein, das er in seiner Brusttasche trug. Seit Beginn seiner Reise hatte er alle aufgeschnappten Informationen über Land und Leute aufgeschrieben und sie immer mal wieder durchgelesen. War er bis vor kurzem noch stolz auf die wachsenden Schriften gewesen, so zweifelte er seit einigen Tagen an deren Sinn. Er hatte alles richtig machen und sich bei den Kontakten mit Einheimischen als kundig erweisen wollen, doch bis jetzt hatte er hauptsächlich mit Engländern zu tun, und die interessierten sich mitnichten für die Vergangenheit des Landes, solange sie dessen Zukunft mitgestalten konnten.
    Er selbst wollte das auch gerne und hatte sich gegenüber seinem Vater, einem Frankfurter Bankier, durchgesetzt, der ihm die Reise hatte
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