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Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo
Autoren: Carla Federico
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warten, aber wenn man zwischenzeitig ihr Verschwinden bemerkte, würde man sie suchen. Auch wenn die Tanten nie sonderlich streng zu ihr gewesen waren, würden sie ihre Flucht streng bestrafen – wobei es jedoch keine schlimmere Strafe gab, als Ricardo zu heiraten.
    In ihrer Verzweiflung achtete Rosa nicht länger auf den Weg. Zwar konnte man sich in Montevideo gut zurechtfinden, da sämtliche Straßen in einem rechtwinkligen Netz verliefen, doch als sie stehen blieb und sich umblickte, hatte sie keine Ahnung, in welcher Richtung nun der Hafen lag.
    Sie bog in ein enges Gässchen ein – und bereute es bereits, als sie es erst zur Hälfte durchschritten hatte.
    Mehrere Männer lungerten hier herum. Sie waren in Lumpen gekleidet, und Rosa hielt sie zunächst für Bettler, die gleich ihre Hände ausstrecken und um Almosen bitten würden. Doch die meisten Bettler waren krank, gelähmt und blind – diese Männer aber stark und bei guter Gesundheit. Wendig sprangen sie auf, kaum dass sie ihrer ansichtig wurden, und maßen sie mit unverhohlen anzüglichen Blicken.
    »So alleine unterwegs, Täubchen?«, fragte einer.
    Der Mann grinste – aber es wirkte mitnichten freundlich und vertrauenerweckend.
    Rosa zuckte zurück, als eine Woge übelriechender Atem sie traf. Entweder hatte der Mann zu viel getrunken oder litt an einem fauligen Zahn.
    »Wohin willst du denn?«, fragte er gedehnt.
    Sie beschloss, nicht zu antworten, und senkte vermeintlich demutsvoll den Blick. Doch als sie das Gässchen wieder zurückgehen wollte, verstellten ihr zwei der Männer den Weg. Rosa versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken, und blickte sich unauffällig um. Weit und breit war niemand zu sehen, von dem sie Hilfe erwarten konnte. Sämtliche Fenster und Türen waren verschlossen, um die Bewohner vor der oft gleißenden Sonne zu schützen oder vor dem Staub, den die häufigen, ganz plötzlich auftretenden Stürme hochwirbelten.
    Der Mann, der sie angesprochen hatte, hob seine Hand und strich ihr über die Wange. Noch nie hatte ein Fremder sie derart vertraulich angefasst, und obwohl Rosa darum kämpfte, sich ihr Unbehagen nicht anmerken zu lassen, duckte sie sich unwillkürlich. Prompt brachen die Männer in Gelächter aus. Ob sie um Hilfe schreien sollte? Oder ob das diese Halunken noch mehr anstacheln würde?
    Ihr kam eine bessere Idee. Sie straffte ihre Schultern, hielt den Blick nicht länger gesenkt, sondern maß den anderen Mann herausfordernd. Hoffentlich merkte er nicht an ihrer zitternden Stimme, wie mulmig ihr zumute war.
    »Ich bin Rosa de la Vegas – die Tochter von Alejandro de la Vegas. Lasst mich sofort vorbei!«
    Wenn sie mit ihrer Familie unterwegs war, hatte sie oft erlebt, dass allein der Klang ihres Namens Respekt einflößte, war Alejandro doch einer der einflussreichsten Bürger der Hafenstadt.
    Bei diesen Männern erzielte sie allerdings nicht die gewünschte Wirkung. In ihrem Blick leuchtete etwas auf, das sie nicht deuten konnte.
    »Soso, Alejandro de la Vegas …«
    Der Mann, der ihre Wange gestreichelt hatte, nickte seinen Kumpanen zu, und schon zogen sie einen noch engeren Kreis um sie.
    »Hier ist’s, als müsste man nur den Mund aufmachen – und schon kommt ein köstlicher Braten hereingeflogen.«
    Rosa hatte keine Ahnung, was er meinte – noch nicht. Schon im nächsten Augenblick fiel ihr jedoch die Armbinde auf, die die Männer trugen, und sie ahnte Schlimmes. Die Binde war das Letzte, was sie sah, denn während sie sich an dem einen Mann vorbeikämpfen wollte, stülpte ein anderer einen Sack über sie. Es war ein rauher Stoff, der kratzte und unter dem sie nur noch Schemen erkennen konnte, und sobald sie von einem Mann gepackt und über die Schultern geworfen wurde, nicht einmal mehr das.
    »Hilfe!«, schrie sie laut – und vergebens. Der Griff wurde nur noch fester, und während sie wie ein Mehlsack fortgeschleppt wurde, zischte ihr einer der Männer zu: »Noch ein falsches Wort – und dir wird Hören und Sehen vergehen.«
    Rosa presste die Lippen zusammen. Sie war sich sicher, dass er die Warnung wahr machen würde.
    Die Armbinde, die sie gesehen hatte, war weiß und bedeutete, dass die Männer zu den Blancos gehörten – den Erzfeinden ihres Vaters, der – als Colorado – seit dem Bürgerkrieg von 1835 oft eine rote Binde trug.
    Mein Gott, wie dumm sie war, ausgerechnet den Namen ihres Vaters zu nennen!
    Mit jedem Schritt, den ihre Entführer machten, wuchsen ihre
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