Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rosen von Montevideo

Die Rosen von Montevideo

Titel: Die Rosen von Montevideo
Autoren: Carla Federico
Vom Netzwerk:
ihr Zimmer, doch es kam weder eine der Tanten noch der Vater, um sie wieder freizulassen.
    »Ach, du bist es nur, Espe …«
    Esperanza war die treue Dienerin ihrer verstorbenen Mutter gewesen. Sie war zwar jünger als die Tanten – mittlerweile zählte sie über dreißig Jahre –, doch sie hatte aufgrund des dunklen, wissenden Blicks immer schon uralt gewirkt. So treu sie einst zu Rosas Mutter stand – ob ihr Loyalität im Blut lag oder sie diese als rechtlose Indianerin einfach als nützlich erkannt hatte, war nie recht offensichtlich –, erwies sie sich auch gegenüber der Tochter. Viele Worte machte sie jedoch nicht, und sie sparte auch an liebevollen Gesten. Eine Weile blickte sie Rosa nur ruhig an, dann stellte sie schweigend ein Tablett mit Essen ab. Brot und etwas Ziegenkäse lagen auf dem Teller, eine frische Orange und ein Saft, den Esperanza jeden Morgen selbst braute und dessen Zutaten Rosa nicht kannte. Obwohl ihr Magen knurrte, musterte Rosa das Essen nur flüchtig.
    »Ich kann ihn nicht heiraten«, sagte sie verzweifelt.
    »Ja«, meinte Espe, wie Rosa sie nannte, seit sie sprechen konnte.
    »Und ich ertrag’s auch nicht, länger hier eingesperrt zu sein.«
    »Ja«, murmelte Espe wieder.
    Ihr Gesicht war ausdruckslos. Nur selten verriet sie mit Worten oder ihrer Miene, was sie dachte.
    »Ich … ich muss fliehen«, stammelte Rosa.
    Endlich sagte Espe mehr als nur ein Wort. »Und wohin willst du gehen?«
    Rosa zuckte die Schultern. Die Wahrheit war – sie hatte keine Ahnung. Sie hatte in ihrem Leben das Haus der de la Vegas’ stets nur in Begleitung ihrer Familie verlassen. Die Welt da draußen war ihr großteils fremd. Sie mochte voller Verheißungen sein, aber eben auch voller Gefahren.
    »Egal«, sagte sie hastig. »Ich will einfach nur weg von hier. Danach kann ich mir immer noch überlegen, wie es weitergehen sollte. Vielleicht … vielleicht hilft mir auch Julio, wenn ich erst einmal in Ruhe mit ihm allein reden kann.«
    Sonderlich groß war die Hoffnung nicht, ausgerechnet von ihrem Bruder Hilfe zu erfahren. Allerdings liebte Julio es, Geschäfte zu machen, und das lieber mit Engländern, die viel von Wirtschaft verstanden, als mit Spaniern. Julio wäre wohl selbst am liebsten ein Engländer gewesen – und vielleicht war es bei diesen nicht üblich, junge Mädchen gegen ihren Willen zu verheiraten. Sie könnte an ihn appellieren, dass eine erzwungene Ehe keinen guten Eindruck machte, ihn möglicherweise sogar auf die Idee bringen, dass es mehr Vorteile brachte, wenn sie einen Engländer heiratete. All seine Geschäftspartner, die sie kennengelernt hatte, sprachen zwar ein unverständliches Spanisch, waren bleich und rotgesichtig und schwitzten stark, aber im Augenblick war ihr jeder Mann lieber als der uralte Ricardo.
    Rosa blickte wieder nach draußen. »Ich müsste unter vier Augen mit Julio sprechen. Am besten außerhalb des Hauses. Ich könnte ihn bei den Lagerhallen am Hafen suchen – dort verbringt er die meiste Zeit. Ich frage mich nur, wie ich dorthin kommen soll. Es ist zu hoch, um hinunterzuklettern.«
    Espe schwieg wieder lange. »Du könntest über den Corral fliehen.«
    Der Corral war der letzte von insgesamt drei Innenhöfen. Der erste Hof befand sich zwischen dem Hauseingang und dem Salon, der zweite zwischen Speisesaal und dem Flügel mit den Privatgemächern. Und wenn man diesen verließ, kam man in besagten Corral, der zu den Stallungen führte, dem Holz- und Kohlenschuppen und den Käfigen für das Federvieh. Außerdem befand sich dort – neben dem Haupteingang – eine zweite kleine Tür, durch die die Dienstboten das Haus betraten und verließen.
    »Es könnte funktionieren …«, setzte Rosa zögerlich an.
    »Ich würde an deiner Stelle die Siesta abwarten, wenn alle schlafen.«
    Rosa bekam es trotz ihrer Unrast nun doch mit der Angst zu tun. Sie hatte gehofft, dass Espe nicht nur ihre Flucht unterstützen, sondern sie sogar begleiten würde. Doch auch wenn sie nie bekundet hatte, ihn sonderlich zu mögen, erlaubte es wohl die Treue zu Alejandro de la Vegas nicht, dass sie so weit ging.
    »Soll ich es wirklich tun?«, fragte sie zaudernd.
    Espe zuckte die Schultern. »Es ist deine Wahl. Auf jeden Fall solltest du vorher etwas essen.«
    Erst als Rosa sich über das Brot mit Ziegenkäse hermachte, fügte sie hinzu: »Ricardo ist älter als dein Vater.« Mehr brauchte sie nicht zu sagen, um Rosas Bedenken zu zerstreuen.
    Einige Stunden später kam
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher