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Die Rose von Byzanz

Die Rose von Byzanz

Titel: Die Rose von Byzanz
Autoren: Julie Gordon
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dass erneut Tränen unter ihren Lidern hervorrannen und im Schläfenhaar versickerten.
    Sie wusste, warum sie auf diesem Sklavenmarkt war. Sie war jung, hübsch, hatte die Figur, die Männern gefiel – üppig, an den richtigen Stellen wohlgerundet. Dazu ihr feuriges Haar, das bis zur Taille in weichen Wellen fiel. Eine reine Haut, von keiner Krankheit während ihrer Kindheit entstellt. Ja, vielleicht würde mancher sich dazu hinreißen lassen, sie eine Schönheit zu nennen. Aber das maskierte nur unzureichend, was diese Männer, die seit den frühen Morgenstunden auf das Podest traten und sie in Augenschein nahmen wie eine Stute auf dem Jahrmarkt, tatsächlich mit ihr vorhatten.
    Von zu Hause wusste sie, was Mann und Frau des Nachts unter ihren Decken trieben, denn in der einzigen Schlafkammer hatte sie oft genug die Eltern belauscht, zunächst noch unwissend, doch zunehmend reimte sie sich manches zusammen. Und am Tag vor ihrer Hochzeit nahm ihre Mutter sie beiseite und erklärte ihr das, was sie noch nicht wusste.
    Von diesem zart kribbelnden Gefühl war nie die Rede gewesen. Von diesem Zittern, das durch ihren ganzen Körper rann und sie leise wimmern ließ, hatte die Mutter nichts gesagt.
    Wenige Stunden später tauchten in der Morgendämmerung ihres Hochzeitstages die Drachenschiffe der Nordmänner am Horizont auf. Ihren zukünftigen Mann verlor Johanna in den Kämpfen. Verbissen hatten die Dorfbewohner versucht, sich gegen die Übermacht zu wehren, doch ihre Heugabeln und Äxte, ihre kleinen Dolche und Balken, Waffen, die sie in aller Eile gegriffen hatten, wussten gegen die schwer bewaffneten Nordmänner nichts auszurichten. Johanna hatte mit ansehen müssen, wie der Schädel ihres Mannes mit einer Axt gespalten wurde.
    Nachts wachte sie manchmal von ihren eigenen Schreien auf, weil sie wieder am Strand kniete, Sand und Blut an ihren Fingern, während sie versuchte, das letzte Glimmen des Lebensfunkens in den weit aufgerissenen Augen Konrads auszumachen. Es war das Letzte, was sie sah, ehe sie hochgehoben und zum Drachenboot geschleppt wurde, das sogleich wieder in See stach.
    Inzwischen wusste sie nicht mehr, wie ihr Mann ausgesehen hatte, und in den Monaten auf den Schiffen der Nordmänner und des Sklavenhändlers hatte sie manches Mal geglaubt, seinen Namen vergessen zu haben, bis sie auf ihren Kopf eintrommelte und er sich ihr stotternd entrang.
    Doch seine keuschen Küsse, die sie des Abends vor dem Zubettgehen hinterm Backhaus ausgetauscht hatten, waren nichts, verglichen mit diesem Gefühl, das ihren ganzen Körper erfasste, als der Fremde ihren Hals und ihre Schultern streichelte, um sie zu beruhigen.
    Sich vorzustellen, wie er sie intimer berührte … wie seine Hände vielleicht sogar ihre Brüste berührten, ihre Taille umschlossen … nein. Undenkbar. Trotzdem dachte sie genau dies, während sie reglos dalag und wartete, dass Kallistos zurückkam.
    Sie hielt die Augen geschlossen und versuchte, ihren Körper schwer und steif zu machen. Nun hielt er wieder ihr Gesicht, und sie hörte ihn leise summen, während seine Daumen ihre Tränen auffingen. Sie spürte seinen Blick, seine zarten Bewegungen.
    Johanna schluchzte. Sie fühlte sich ihm ausgeliefert, aber zugleich genoss sie dieses Gefühl zu sehr.
    Was passierte nur mit ihr? War das der Wahnsinn, den Kallistos ihr täglich prophezeite, seit er sie in Haithabu an Bord seines Schiffes gebracht hatte?
    Kallistos’ schwere Schritte bebten auf den Stufen zum Podest. „Hier, Wasser.“
    Sie hörte das Plätschern, dann spürte sie, wie der Nordmann seine Position veränderte, ihren Oberkörper behutsam anhob und ihr einen Becher an die Lippen hielt. Sie vermisste seine Hand an ihrer Schläfe, doch dann berührte das kühle Nass ihre Lippen, und sie öffnete gehorsam den Mund. Leicht und beinahe kalt floss etwas Wasser in ihren Mund. Sie schluckte.
    Nie hatte sie etwas Köstlicheres geschmeckt.
    Sie trank den Becher bis zur Neige, und die ganze Zeit hielt er sie mit starkem Arm und flößte ihr das Wasser ein. Erst dann schlug sie die Augen auf.
    „Danke“, flüsterte sie.
    Es fiel ihr so schwer, ihn in diesem Moment zu hassen. Ihn anzusehen ließ etwas in ihr erklingen.
    Aber das konnte nicht sein. Er war ihr Feind. Außerdem stand er im Dienst eines Mannes, der sich ein Vergnügen daraus machte, unschuldige Mädchen zu seinen Kurtisanen zu machen. Mehr noch, er schien sich um die Auswahl dieser Mädchen zu kümmern. Ihre Abscheu vor ihm wuchs.
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