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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Autoren: Sergej Lukianenko
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heftig mit der Linken wedelnd.
    »Sind sie weit weg?«, erkundigte ich mich.
    »Nein, direkt unter uns, vielleicht zwanzig Meter entfernt. Sie haben mich schon gesehen und klettern gleich zu uns herauf.«
    Nach wie vor beobachtete ich jede Bewegung des Vogelmenschen, der sich wieder in seinen Umhang gehüllt hatte, mit eiserner Wachsamkeit, denn vor den messerscharfen Krallen, die Maljok zum Verhängnis geworden waren, musste man sich in Acht nehmen.
    Offensichtlich konnte er meinen feindseligen Blick genau einordnen, denn sein verkrüppeltes Pfeifwerkzeug
öffnete sich erneut: »Ich werde nützlich sein. Das ist gut für euch und gut für mich. Ich werde euer Führer auf dem Schiff sein und euch helfen, die anderen zu finden. Nur so bleibt ihr am Leben. Ihr braucht einen Experten.«
    »Auf dem Schiff?«, fragte ich erstaunt.
    »Ja. Ihr habt das Versuchsgelände erobert und das Energiezentrum zerstört. Die Techniker sind aber in der Lage, Reserveenergiequellen zu aktivieren. Nicht für lange, aber es würde reichen, um euch zu vernichten.«
    »Das ist das Versuchsgelände?«, fragte ich und zeigte mit der Hand durch die Tunnelöffnung, wo sich die Inseln aus der verschneiten Eiswüste erhoben.
    »Ja.«
    »Und das Schiff?«
    »Das hier ist das Schiff«, antwortete der Fremdplanetarier und ließ den Krakenarm über seinem Kopf kreisen. »Auf dem Schiff sind sechzehn Vernunftbegabte. Ich präzisiere: Es waren sechzehn. Jetzt sind es noch vierzehn, mich nicht gerechnet. Ohne mich werdet ihr sie nicht finden. Ich schlage euch eine Abmachung vor.«
    Während der Vogelmensch versuchte zu schachern, ertönten vom Tunnelrand scheppernde Geräusche. Chris steckte den Kopf über die Kante; vom Scheinwerferlicht geblendet, kniff er die Augen zusammen. Als er auf die Plattform geklettert war und den Außerirdischen neben mir erblickte, fasste seine Hand instinktiv an den Schwertgriff.
    »Darf ich vorstellen, Chris«, begann ich leise, »das ist einer von den sechzehn Bastarden, die uns auf den Inseln festgehalten haben. Jetzt möchte er die Seiten wechseln und sich als Verräter verdingen. Er bietet sich uns als Führer an.«

    Die Kapuze schwenkte in meine Richtung. »Verrat ist eine Erfindung des menschlichen Verstandes«, dozierte der Außerirdische mit seiner piepsigen Vogelstimme. »Wir ändern nur unser Verhalten. Es ist eine der merkwürdigen Eigenschaften des menschlichen Verstandes, dass er Verhaltensänderungen nicht akzeptiert.«
    Chris antwortete nicht darauf, denn er hatte Maljok entdeckt und schritt nun auf ihn zu, ganz langsam, als wollte er ihm Zeit geben, damit aufzuhören, sich zu verstellen.
    »Es ist ein Jammer, Chris«, sagte ich, »aber es sieht so aus, als könnten wir es uns tatsächlich nicht leisten, diese Bestie zu töten.«
    Die Kapuze nickte eifrig. »Sehr vernünftig. Seid Ihr der Anführer der Menschen?«
    Chris, der neben Maljok auf die Knie gesunken war, drehte sich zu dem Außerirdischen um.
    »Ja, er ist unser Kommandeur«, sagte er nach kurzem Schweigen.
     
    Als auch die anderen Jungen zu uns heraufgeklettert waren, wurde es eng auf der Plattform. Um die beiden Außerirdischen herum, den toten wie den lebendigen, bildete sich ein freier Raum. Während Meloman erzählte, was passiert war, entfernte ich mich zum Rand der Plattform. Der lebende Vogelmensch sah mir mit sorgenvollem Blick hinterher; es war ihm augenscheinlich unangenehm, von einem Haufen aufgekratzter, hasserfüllter Kämpfer umringt zurückzubleiben. Er hoffte darauf, dass ich, der Kommandeur der Menschen, ihn schützen würde. Ich, der Kommandeur der Menschen …
    Chris hatte nicht gescherzt, das hatte ich an seinem
Blick sofort erkannt. Mit leichter Hand hatte er mir sein Regiment übergeben, wie einen unnötigen Ballast, den er nicht mehr tragen mochte und den nun ein anderer schultern sollte. Ich - ein Kommandeur?
    Für Augenblicke fühlte ich mich so einsam wie noch nie zuvor auf den Inseln. Der Anführer ist immer einsamer als seine Untergebenen. Das mag daran liegen, dass er niemanden über sich spürt. Offenbar ist es äußerst wichtig, nicht nur neben und unter sich, sondern auch über sich jemanden zu wissen. Jetzt wurde mir bewusst, wie angenehm es ist, wenn dir jemand die Last deiner eigenen Zweifel abnimmt.
    Nun war ich ein Kommandeur auf den Inseln.
    Diese Realität hatte ich noch nicht verinnerlicht. Ich befand mich in einer Art Schockzustand, wie gelähmt von der Größe der Aufgabe, und war noch nicht in der
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