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Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Reliquienjägerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Sabine Martin
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und Hunger elendig starb?
    Rebekka kroch die letzten Ellen vorwärts und bemerkte zu ihrer großen Erleichterung, dass sich unmittelbar vor dem Engpass zu ihrer Linken eine helle Öffnung auftat. Als sie hindurchspähte, entdeckte sie etwa vier Ellen unter sich eine dunkle Wasserfläche. Sie richtete den Blick nach oben. Ein großes, kreisrundes Loch zeigte ihr ein Stück des Abendhimmels, an dem bereits die ersten Sterne funkelten. Aus der Brunnenwand ragten vereinzelte Steine so weit aus dem Mauerwerk hervor, dass es möglich sein musste, hinaufzusteigen. Rebekka zögerte dennoch. Was, wenn genau jetzt eine Magd zum Wasserholen kam und sie entdeckte?
    Nicht auszudenken, was die Leute mit ihr anstellen würden, wenn sie sie hier unten erwischten, denn die Christen waren davon überzeugt, die Juden würden die Brunnen vergiften. Sie würden glauben, sie hätten sie auf frischer Tat ertappt. Sie würden sie als Brunnenvergifterin ohne zu zögern in Stücke reißen. Andererseits konnte sie nicht ewig hier unten hocken. Es war eiskalt, das nasse Kleid klebte an ihrem durchfrorenen Körper. Zudem wurde sie erwartet.
    Rebekka beugte sich vor und griff nach dem ersten Stein in Reichweite. Anfangs konnte sie sich nur mit äußerster Mühe mit ihren kalten, steifen Fingern festklammern, doch mit jedem Schritt nach oben wurden ihre Bewegungen geschickter. Schließlich wagte sie einen Blick über den Brunnenrand. Erschrocken fuhr sie zurück. Adonai, hilf! Mitten auf dem Marktplatz war sie, im Herterichsbrunnen. Wie sollte sie hier unbemerkt hinausgelangen?
    Noch einmal äugte sie vorsichtig über den Rand. Der Platz war leer. Vielleicht war es später, als sie dachte, vielleicht hatte der Nachtwächter bereits die erste Runde gedreht. Noch einmal schaute sie in alle Richtungen, dann zog sie sich hoch und kletterte geschwind über den Brunnenrand. Einen Augenblick hielt sie atemlos inne. Von der gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes drangen Geräusche herüber, laute Schreie und ein dumpfes Poltern. Hinter diesen Häusern lag das Judenviertel. Deshalb war der Platz leer! Die Meute zog durch das Viertel und versuchte die Türen aufzubrechen. Hoffentlich gelang den anderen rechtzeitig die Flucht!
    Plötzlich löste sich eine Gestalt aus dem Schatten einer Hauswand. »Da seid Ihr ja endlich. Kommt! Beeilt Euch!«
    Rebekka fuhr erschrocken herum. Sie wollte etwas erwidern, doch der Mann, ein Knecht in einer zerschlissenen Cotte, hatte sich bereits abgewandt und lief in die Herrngasse. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Der Knecht führte sie zu einem Hoftor, stieß eine kleine Pforte auf und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Bevor sie eintrat, blickte sie noch einmal zurück. In der Herrngasse wohnten die vornehmen Christen, die Patrizier, die die Geschicke der Stadt Rothenburg lenkten. Ihre Häuser waren aus Stein gemauert und prächtig anzusehen. Dabei war die äußere Pracht nichts gegen die Reichtümer, die sich in ihrem Inneren verbargen. Einmal hatte Rebekka ein solches Haus betreten, heimlich, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Und obwohl ihre Eltern ebenfalls wohlhabend waren und angesehene Mitglieder der jüdischen Gemeinde, hatte sie vor Staunen den Mund nicht zubekommen: Teppiche an den Wänden, überall Leuchter aus kostbarem Silber, Trinkgefäße aus Kristall und sogar gläserne Scheiben in den Fenstern, durch die das Sonnenlicht bunte Flecken auf den Boden warf! Das Haus, das sie kannte, lag ein Stück weiter die Herrngasse hinunter. Seufzend warf Rebekka einen Blick darauf, bevor sie dem Knecht durch die Pforte folgte.
    Im Hof stand ein Fuhrwerk, ein Mann mit kantigem Gesicht und fast kahlem Schädel wartete daneben. »Da bist du ja, Metze.« Er trat näher.
    Rebekka vermutete, dass es der Hausherr war, Hermo Mosbach, ein vornehmer Christ, dem ihr Vater nicht nur den Erlass sämtlicher Schulden, sondern auch ein Pfund Silber versprochen hatte, wenn er dafür seine Tochter sicher aus der Stadt brachte. Mosbach trug seidene Beinlinge, ein Wams aus Samt und einen schweren blauen Mantel, der von einer kunstvoll gefertigten silbernen Schnalle zusammengehalten wurde. »Hast du das Geld?«
    »Ja, Herr.« Rebekka schluckte. »Ich habe Anweisung, es Euch erst zu geben, wenn Ihr mich wohlbehalten aus Rothenburg geleitet habt.«
    »Hört, hört«, brummte der Mann. Er musterte sie von oben bis unten. Etwas Abschätzendes lag in seinem Blick, so als prüfe er die Ware eines Schlachters.
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