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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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zuerst habe der Klugleos uns überlistet
und dann wir ihn, darin zeige sich die Unwandelbarkeit der menschlichen
Natur, denn wir seien gewissermaßen mit ihrem
vergrößerten Spiegelbild zusammengestoßen. Der Angriff
des Klugleos sei nichts anderes als die elektronische Wiederholung der
Höhlenszene, in welcher der eine Urmensch dem anderen den
abgenagten Knochen über den Schädel schlug. Diese Dispute
waren für die humanistischen Wissenschaften von Nutzen, da die
Reihen der Diskutierenden mit eiligst habilitierten Doktoren der
Reserve verstärkt werden mußten. Auch den schönen
Künsten brachte der errungene Sieg neuen Auftrieb. Viel Wahres
wurde über ihn geschrieben und noch mehr Erdichtetes, allem voran
die klassische Fiktion, der Tropfen, der die Schale der Ausdauer des
Usurpators zum Überlaufen brachte, wäre das
Kindermärchen vom Gestiefelten Koder gewesen – was jedoch zu
schön ist, um wahr zu sein.
    Den demobilisierten Draufgängern, die in ihre
vier Wände zurückkehrten, lag absolut nichts am Abklopfen der
Dämonen und Holdinen, die sie aus der Aufbewahrung abholten, wo
sie sie, den Zwängen des Krieges folgend, zurückgelassen
hatten. Die Übungen mit ihnen sahen schon allzu zivil aus,
während die Kampfeslust einstweilen noch überschäumte,
denn, um ehrlich zu sein, nur wenige hatten sich zur Genüge im
Krieg ausgetobt. Auch die Produzenten begriffen im Handumdrehen,
daß die bisherigen Liebeswecker und -spender ungeeignet waren. Es
herrschte allgemein eine romantische und staatsschöpferische
Stimmung, die nicht aufgebrachte Mannhaftigkeit wollte sich
unverzüglich äußern. Trotz des allgemeinen Drangs nach
kriegerischer Tat gab es niemanden, mit dem man sich hätte
schlagen können. Wenn schon kein Feind da ist, sagten sich die
Hauptmacher des großen Geschäfts, dann muß man
für einen sorgen, was um so leichter ist, da die technischen
Mittel vorhanden sind. So entstanden die Feindkiller. Ein solches
Gerät simulierte den widerlichen Aggressor. Man brauchte nur eine
entsprechende Spaltmünze in den Einwurfschlitz zu stecken, und
schon erhielt man durch Spaltung des Simulator-Ichs den
gewünschten Feindtyp. Spaltmünzen wurden in Mengen angeboten,
jede für ein anderes Feindmodell, bald hinterlistig grausam, bald
unverfroren aggressiv, immer aber niederträchtig. Hatte man sich
einen passenden Feind herangezogen und kannte sich schon gut in dessen
Gelüsten aus, dann trat man zum Kampf für die Verteidigung
des Vaterlands an. Das war nichts Abstraktes, die Produzenten halten
überlegt – wenn die Wohnung das Schlachtfeld sein sollte,
mußte auch das mit der eigenen Brust geschützte Vaterland in
ihr untergebracht werden. Folglich gehörte zur Gesamtausstattung
noch eine Vaterlandsallegorie, eine Frauengestalt mit wehendem Haar,
einem Lorbeerkranz in der Hand, und in einem Gewand, das wie eine Fahne
flatterte (im Sockel befand sich ein Gebläse). Die Augen voll
süßen Vertrauens auf den Käufer gerichtet, flehte sie
um Rettung vor dem Feind, und nach errungenem Sieg legte sie dem Helden
sofort den Lorbeer um die Stirn. Das Ergebnis des Kampfes war todsicher
– der Feindkiller hatte entsprechende Drehschalter. Übrigens
konnte man den Sieg sogar erringen, ohne aus dem Bett aufzustehen; es
genügte, sich eine billige Verlängerungsschnur für die
Schikaniertaste zu besorgen. Man konnte den Feind augenblicklich
liquidieren oder nur ein wenig und den erst Halbtoten für
später aufbewahren – je nach Temperament und vertretenen
Grundsätzen. Wer Anhänger einer sorgfältig in die
Länge gezogenen Brutalität war, der hatte auch keine Sorge
mit den Aufschreien des Verlorenen, denn dafür war ein geeigneter
Schalldämpfer eingebaut.
    Die Gegner der Neuheit, an denen es nie mangelt,
erhoben sofort lautes Geschrei und versuchten, die Verbreitung des
Feindkillers im ganzen Land zu kompromittieren, indem sie behaupteten,
der Apparat sei weder ein Patriotismustrainer noch eine Schule
gottvaterländischer Gefühle, wie die Reklame versprach,
sondern ein programmgesteuertes Folterinstrument, würdig des
Marquis d’Arche, dessen Segen den Erfindern zweifellos
gebühre.
    Der Feindkiller, verkündeten sie, wecke die
niedrigsten Instinkte, übe im Quälen wehrloser Opfer, und das
Histörchen von der Verteidigung des Vaterlands sei ein
geheuchelter Vorwand. Warum sei das Vaterland nicht eine gesetzte Dame
in gewissem Alter, eine Matrone oder auch eine vornehme, rüstige
Greisin, sondern ein monumentales
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