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Die Reise Nach Petuschki

Titel: Die Reise Nach Petuschki
Autoren: Wenedikt Jerofejew
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warum?«
    »Darum!«
    Einer von ihnen holte aus und gab mir einen Schlag auf die Wange, der andere versetzte mir mit der Faust einen Hieb ins Gesicht. Und die andern zwei kamen näher und näher. Ich begriff überhaupt nichts mehr. Aber ich stand noch auf den Beinen und wich leise zurück, ganz leise, leise. Doch die vier kamen leise näher und näher ...
    Lauf, Wenitschka, irgendwohin, ganz gleich wohin! Lauf zum Kursker Bahnhof! Nach links, nach rechts oder zurück, ganz gleich wohin, du landest sowieso am Kursker Bahnhof! Lauf Wenitschka, lauf ...!
    Ich faßte mir an den Kopf und begann zu laufen. Sie mir nach...

Petuschki. Kreml. 
Minin-und-Posharskij-Denkmal
    Vielleicht ist das doch Petuschki...? Warum sind keine Leute auf den Straßen? Warum ist alles ausgestorben? Wenn sie mich einholen, werden sie mich umbringen ... Wer würde es hören, wenn ich schreien würde? In keinem der Fenster brennt Licht... Und die Laternen haben einen so unwirklichen Schein, sie brennen, ohne auch nur ein einziges Mal zu flackern.
    Es kann sogar sehr gut möglich sein, daß das Petuschki ist... Dieses Haus, auf das ich jetzt zulaufe, das ist doch das Bezirksfürsorgeamt, und dahinter Finsternis... Das Fürsorgeamt von Petuschki — und dahinter Finsternis von Ewigkeit zu Ewigkeit und der Bunker für die Toten... O nein, nein ...!
    Ich stürzte auf einen Platz hinaus. Die Pflastersteine waren naß. Ich holte tief Luft und sah ringsum:
    Nein, das ist nicht Petuschki...! Wenn Er — wenn Er diese Erde für immer verlassen hat, aber doch jeden einzelnen von uns sieht — in diesen Winkel hat Er nie einen Blick getan, das weiß ich... Und wenn Er diese meine Erde nie verlassen hat, wenn Er sie barfuß und im Sklavengewand durchwandert hat — um diesen Platz hat er einen Bogen gemacht und ist daran vorübergegangen ... Nein, das ist nicht Petuschki! An Petuschki ist er nicht vorübergegangen. Er hat dort, müde geworden, im Schein des Feuers übernachtet, und die Asche und den Rauch seines Nachtlagers haben dort in vielen Herzen Spuren hinterlassen. Wozu Feuer? Hätten wir Asche ...
    Nein, das war nicht Petuschki! Der Kreml erstrahlte vor mir in seiner ganzen Herrlichkeit. Obwohl ich hinter mir schon die Schritte meiner Verfolger hörte, konnte ich noch denken: Ich bin kreuz und quer durch ganz Moskau gelaufen, nüchtern und im Rausch, aber den Kreml habe ich kein einziges Mal gesehen, sondern bin auf der Suche nach ihm stets zum Kursker Bahnhof geraten. Und nun liegt er vor mir, wo ich den Kursker Bahnhof nötiger brauche als irgendwas anderes auf der Welt...! »Unerforschlich sind Deine Wege ...«
    Die Schritte kamen immer näher, doch ich konnte nicht mehr weiterlaufen, ich hatte keinen Atem mehr. Ich konnte mich nur noch bis zur Kremlmauer schleppen und brach zusammen... Kein Zittern mehr und keine Furcht — mir war alles egal...
    Sie kamen näher, zwei von links und zwei von rechts. Was sind das für Leute, und was habe ich ihnen getan? Diese Frage stellte ich mir nicht mehr. Egal. Und ob sie mich bemerken oder nicht — das ist auch egal. Ich will nicht mehr zittern, ich will Ruhe, das ist mein einziger Wunsch ... Laß sie vorübergehen, Herr ...
    Aber sie bemerkten mich doch. Sie kamen auf mich zu, umzingelten mich, schwer und heiser schnaufend. Gut, daß ich noch rechtzeitig auf die Beine kam, sonst hätten sie mich umgebracht...
    »Vor uns wolltest du davonlaufen? Vor uns, was?« zischte der eine, packte mich an den Haaren und schlug meinen Kopf mit seiner ganzen Kraft gegen die Kremlmauer. Mir war, als würde ich vor Schmerz in der Mitte durchgespalten. Blut rann mir über das Gesicht und in den Kragen. Ich wäre beinahe hingefallen, aber konnte mich gerade noch auf den Beinen halten ... Das Gemetzel begann!
    »Hau ihm in die Rippen. In die Rippen mit dem Stiefel! Laß ihn tanzen!«
    Mein Gott! Ich riß mich los und begann wieder zu laufen — den Platz hinunter. Lauf, Wenitschka, wenn du kannst, lauf, du wirst entkommen, sie können nämlich gar nicht laufen! Für zwei Augenblicke blieb ich vor dem Denkmal stehen, wischte das Blut von den Brauen ab, um besser sehen zu können. Zuerst sah ich Minin an, dann Posharski), dann wieder Minin. Wohin? In welche Richtung soll ich laufen? Wo ist der Kursker Bahnhof? In welche Richtung soll ich laufen? Zum Überlegen war keine Zeit — ich lief in die Richtung, in die der Fürst Dimitrij Posharski) blickte ...

Moskau — Petuschki.
Im fremden Treppenhaus
    Noch bis zum letzten
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