Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die Reise nach Orb - ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Anton Bärtschi
Vom Netzwerk:
war. Hatte es ihn etwa doch in die Zukunft verschlagen? Aber die ungewöhnliche Kücheneinrichtung war nichts gegen die Veränderung, die direkt vor ihm stand: Seine Stiefmutter sah aus wie ein Freak: die Haare knallrot unter einem Zylinderhut, wie ihn die Kaminfeger trugen. Auf ihrer Nase saß eine Brille mit kleinen kreisrunden Gläsern und auf ihrem Hut steckte eine Schutzbrille, wie sie Schweißer bei der Arbeit trugen. Dabei hatte seine Stiefmutter nie eine Brille benötigt. Doch das war noch längst nicht alles. Ihr Oberkörper steckte in einem schwarz-violetten Korsett mit einem weißen Rüschenkragen und sie trug dazu einen roten Mini-Rock und schwarze Strümpfe mit einem eigenartigen Zahnradmotiv. Das Schuhwerk, schwarze Schnürstiefel mit hohen Absätzen, passte zwar zu ihrem Outfit, doch nicht zu Isabelle, wie er sie kannte.
    »Ich werd‘ verrückt«, entfuhr es ihm. »Isabelle, gehst du heute an einen Maskenball?«
    Sie musterte ihn, als käme er von einem anderen Stern.
    »Martin, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mehr auf dein Aussehen achten. Normalerweise schaust du bereits aus wie ein Landstreicher, aber heute schießt du den Vogel ab. So habe ich dich noch nie gesehen.«
    »Was denn …wie denn?«, stammelte er und schaute auf sein kariertes Farmerhemd und die braunen Manchesterhosen. Zugegeben, nicht gerade der letzte Schrei, um nicht zu sagen aus der Mode, aber er fühlte sich wohl in seinen Klamotten.
    »So wirst du nie eine Frau finden. Dabei ist dein Schrank voll von moderner Kleidung, die ich dir gekauft habe. Doch komm, lass uns jetzt essen. Sonst muss ich die Sachen wieder in den Dampfofen stellen.«
    »Dampfofen?«, echote er. »Ich dachte wir hätten Gas.«
    »Das hatten wir. Aber dann haben wir vor zwei Jahren auf die zentrale Heißdampf-Versorgung umgestellt. Hast du das schon vergessen?« Sie schüttelte den Kopf. »Martin, du bist ein lebensferner Träumer und nimmst die Welt um dich herum oft gar nicht mehr wahr. Es ist höchste Zeit, dass du aus deinem Experimentierzimmer rauskommst. Und wenn wir schon dabei sind: Du solltest dich auch nach einer anderen Arbeit umsehen. Seit du Professor Sternhagel assistierst, bist du noch mehr zum Sonderling geworden.«
    »Sternhagel? Ich arbeite doch bei Schwarz & Co in der Reparatur. Von was redest du eigentlich?«
    »Ja, ja, ich weiß, dass du nicht gerne von deiner Arbeit sprichst, aber verleugnen solltest du sie deshalb nicht.«
    Martin wurde leicht schwindlig. Vielleicht kündigte sich eine Grippe an, mutmaßte er. Vielleicht war seine Wahrnehmung bereits durch Fieber gestört. Das könnte die Halluzinationen erklären. Er griff sich an die Stirn, doch dort traf seine Hand nur auf kalten Schweiß. Oder war es etwa das Wetter? Er blickte durch das Küchenfenster nach draußen. Es war ein ungewöhnlich düsterer Tag, und es schien, als würde man direkt auf eine dunkle Wand blicken, die sich vor die Hügel auf der anderen Seite des Tals geschoben hatte. Ein Wetterumsturz? Doch vor der schwarzen Wand erschien unvermittelt ein Objekt, das ihn wie elektrisiert von seinem Sitz hochfahren ließ. Er eilte zum Fenster und blickte ungläubig und fasziniert nach draußen. Dort schwebte eine riesige Zigarre in der Luft.
    »Ein Zeppelin!«, rief er aufgeregt. »Isabelle, dort draußen ist ein Zeppelin! Ein Riesending, kaum drei Kilometer entfernt!«
    »Zeppelin? Du meinst sicher das Luftschiff. Was ist daran so außergewöhnlich? Das kommt doch jeden Tag vorbei. Es ist wie immer das Zweiuhr-Schiff nach Stonehenge.«
    Stonehenge? Das war doch dieser Steinkreis in England. Wieso sollte der Zeppelin jeden Tag dorthin fliegen. Martin blickte verständnislos von seiner Stiefmutter zu dem Luftschiff. Dann ging er wieder zurück zum Tischchen, das nicht mehr aus weißem Plastik, sondern aus dunklem Holz war, und setzte sich. Etwas stimmte nicht mehr – entweder mit ihm oder der Welt.
    »Es hat mich in die Vergangenheit verschlagen, nicht wahr?«, platzte er heraus. »Welches Jahr schreiben wir denn heute?«
    »Martin, mach jetzt Schluss mit deinem Theater. Es hat dich nicht verschlagen, du selbst lebst noch tief in der Vergangenheit. Wie weit bist du übrigens mit deiner Ætherpistole?«
    Martin glaubte, sich verhört zu haben. Hatte sie tatsächlich Ætherpistole gesagt? In seinem Kopf schwirrten die Gedanken wie ein Bienenschwarm. War das etwa das Ding auf seinem Basteltisch, das nun anstelle der elektronischen Aquarium-Steuerung dort
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher