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Die Reise ins Licht

Die Reise ins Licht

Titel: Die Reise ins Licht
Autoren: Andrej Djakow
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Landkarten, ein großer Chronometer an der Wand. Hinter einem beeindruckenden Tisch saß ein akkurat gekleideter Mann von etwa sechzig Jahren, der konzentriert etwas in einem dicken Journal notierte. Seine Dienstmütze und die gebügelte Uniformjacke
wiesen ihn als Kapitän der schwimmenden Plattform aus. Der Kapitän sah für einen Augenblick von seinen Papieren auf, warf einen raschen Blick auf seine Gäste und deutete mit dem Kopf auf einige Sessel. Die Gefährten nahmen Platz. Es herrschte Schweigen.
    »Nun, was haben Sie da?«, sagte er schließlich.
    Gleb holte sein »Ostsee-Handbuch« hervor und legte es vor dem Kapitän auf den Tisch. Der blickte zunächst verständnislos auf den Umschlag, dann blätterte er einige Seiten durch. Dem Jungen entging nicht, mit welchem Interesse der Mann in der Uniformjacke die mit Notizen übersäten Karten betrachtete. Der Kapitän nahm aus seinem Zigarettenetui eine Selbstgedrehte heraus, zündete sie an und blickte die Gäste an: »Was wollt ihr dafür haben?«
    Gleb blickte Taran erwartungsvoll von der Seite an, aber sein Meister hatte es offensichtlich nicht eilig mit einer Antwort, sondern blickte seinen Gesprächspartner unverwandt an.
    »Dass die Menschen aus der Metro evakuiert werden.«
    Der Kapitän schwieg. Er zog an der Selbstgedrehten, klopfte die Asche ab und blickte durch das Schiffsfenster. Dann stieß er eine Wolke graublauen Rauches aus.
    »Sehen Sie, nach Moschtschny kommt nicht jeder. Für alle ist einfach nicht genügend Platz. Außerdem können wir auf der Insel nicht jeden x-Beliebigen brauchen. An Kranken und Alten haben wir auch so schon genug. Kräftige und Gesunde dagegen weisen wir nicht ab. Umso mehr, als mit diesem Buch« – er nickte in Richtung des Seehandbuchs – »die Überfahrt nach Petersburg realistisch wird.«

    »Und wie wollen Sie die ›Brauchbaren‹ auswählen?«, fragte Taran mit Nachdruck.
    »Denken Sie doch einmal nach. Die Insel hat all die Jahre bisher nur überlebt, weil jeder ihrer Bewohner strengste Disziplin geübt und schwere Arbeit geleistet hat. Verstehen Sie, jeder einzelne Bewohner. Bei uns haben alle ihre Aufgabe – Jung wie Alt. Schmarotzer und Invaliden brauchen wir nicht.«
    Gleb erinnerte sich an Nata, das Hinkebein … Sollte das bedeuten, dass auch ihr der Weg zur Insel verwehrt war? Mutig fragte er: »Ich habe eine Bekannte in der unterirdischen Welt. Sie ist ein gutes Mädchen, hinkt nur ein wenig.«
    »Das ist nicht schlimm«, versicherte ihm der Kapitän. »Wir machen eine Ausnahme.«
    Der Junge beruhigte sich ein wenig. Er überlegte, wer von seinen Bekannten noch nicht auf die Insel gelangen könnte.
    »Du hast doch auch eine Krankheit, Taran, nicht wahr?«, fragte der Mann in Uniformjacke auf einmal.
    Der Junge begann sich schon um das Schicksal seines Meisters zu sorgen, doch der Kapitän fuhr sogleich fort: »Wenn sie nicht ansteckend ist, dürfte es keine Probleme mit deiner Übersiedlung geben. Unsere Gemeinschaft braucht erfahrene Stalker, und du hast, wie ich höre, in dieser Hinsicht einiges an Erfahrung vorzuweisen …«
    »Aber ich kann keine Gemeinschaft brauchen, die Menschen aussortiert. Für die, die ihr mitnehmen wollt, sage ich natürlich Danke, aber ich passe.«

    »Bist du sicher?«
    »Sobald ihr nach Petersburg fahrt, vergesst nicht, mich dort abzusetzen. Ab dann trennen sich unsere Wege. Wann wollt ihr aufbrechen?«
    »Das kann ich jetzt noch nicht beantworten. Verstehst du, wir können nicht einfach so unser einziges seefähiges Verkehrsmittel riskieren. Wir sind schon einmal auf eine Sandbank aufgelaufen – damals war die Plattform monatelang nicht zu gebrauchen. So etwas beschließt man nicht leichtfertig, Stalker. Und die Entscheidung liegt auch nicht bei mir. Gegen Abend laufen wir die Insel an. Dort kannst du dich selbst mit unserer Obrigkeit darüber verständigen …« Der Kapitän blickte auf das Chronometer. »Ich wage es nicht, euch länger aufzuhalten. Roine, hilf unseren Gästen, sich hier zurechtzufinden.«
     
     
    Der redselige Finne zeigte ihnen noch gut anderthalb Stunden lang die Sehenswürdigkeiten von »Babylon«. Wie sich herausstellte, war das nicht einfach eine Metapher ihres Begleiters, sondern die Bezeichnung hatte sich tatsächlich eingebürgert. Jedenfalls klang sie weitaus besser als das langweilige »schwimmende Bohrplattform«.
    Als Roine mit ihnen das riesige Steuerhaus betrat, ertönte gerade aus dem Lautsprecher eines alten Empfängers eine näselnde
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